Das Engelsgrab
er nicht eingegriffen hatte.
»Warum sind Sie so nachdenklich, John? Oder ist es bereits so etwas wie eine Aufgabe?«
»Nein, das ist es nicht. Ich habe nur an einen Freund gedacht, den ich ebenfalls zu Belials Feinden zähle. Ich weiß nicht, ob Sie den Namen unseres Freundes kennen, Claudine…«
»Sie werden ihn mir sagen.«
»Er heißt Raniel, der Gerechte.«
Claudine Lanson dachte nach. Sie legte dabei ihre Stirn in leichte Falten, aber sie hob auch die Schultern. »Nein«, sagte sie, »so genau bin ich nicht informiert. Ich kann zwar etwas mit dem Namen Raniel anfangen, doch ich habe mich nicht mit ihm beschäftigt.«
»Er hasst Belial.«
»Wie stark ist er?«
Ich zuckte die Achseln. »In gewisser Hinsicht ist er stark, das stimmt schon, aber er muss in seinem Bereich bleiben und kann nur schwerlich ausbrechen. Er ist ein Beschützer und sieht sich selbst als gerecht an, wobei diese Art von Gerechtigkeit weniger mit der zu tun hat, die wir als normale Menschen propagieren. Bei ihm gibt es kein Gericht. Raniel ist Richter und Henker in einer Person. Hier scheint er noch nicht gemerkt zu haben, dass sich gewisse Dinge veränderten. Schade eigentlich, aber man kann nichts machen.«
»Wir sollten den Mut nicht verlieren, auch wenn der Engel durch einen Mörder gestorben ist.«
»Ist er der einzige gewesen, oder…«
»Nein.« Claudine schaute zu Boden und sprach leise weiter. »Er war nicht der einzige. Es gab noch andere Engel, die diesen Weg leider gegangen sind. Daran konnte auch ich nichts ändern. Ich bin auch nicht so stark«, gab Claudine zu. »Schaut mich an. Ich bin ein schwacher Mensch, aber ich gebe nicht auf. Bei meinen Forschungen bin ich auch auf die düstere Seite der Engelwelt gestoßen und habe erlebt, was Angst ist.«
»Kennen Sie Belial?« fragte Suko.
»Zu Gesicht habe ich ihn noch nie bekommen. Ich hörte nur von ihm, so wie auch jetzt, und spürte ihn auch.«
»Warum spüren?«
Claudine lächelte. »Ja, man kann die Engel spüren, vorausgesetzt, man ist sensibel genug. Die unmittelbare Umgebung eines Menschen verändert sich, wenn sie in der Nähe sind. Sie geben einen besonderen Geruch ab, auf den man achten sollte.«
»Trifft das auch auf Belial zu?«
»Ja«, bestätigte sie. »Das gilt auch für ihn.« Ihre Augen funkelten plötzlich. »Ich habe seine Nähe einmal gespürt, und es war sehr schlimm, das müssen Sie mir glauben. Er strömte keinen Wohlgeruch aus. Er war das glatte Gegenteil, denn er roch nach Hölle!«
Das letzte Wort hatte sie voller Wut ausgesprochen. Der Haaa, den sie der Hölle entgegenbrachte, war voll rübergekommen.
»Was haben Sie gerochen?«
»Tod, Suko, ich roch den Tod. Ich roch die Vernichtung. Ich nahm das Ende auf, und es ist einfach schrecklich gewesen. Ich habe mich so schlecht wie lange nicht mehr gefühlt. Die absolut böse Aura raubte mir den Atem, obwohl Belial selbst nicht sichtbar war und sich in seiner Welt verborgen hielt. Seine Nähe reichte schon aus, um mich die Angst spüren zu lassen.«
Ich konnte sie verstehen. Belial war ein Angstmacher, und er besaß die Macht des Luzifer.
Claudine deutete über das Grab. »Leider bin ich zu spät gekommen. Ich weiß, dass der Schutzengel hier gestorben ist. Er befindet sich jetzt dort, wo kein Mensch hinschauen kann, aber wir müssen daran denken, dass es jemanden gibt, der von nun an ohne den geistlichen Schutz durchs Leben geht.«
»Der Junge heißt Toby Cramer«, sagte Suko.
Kaum hatte Claudine die Worte gehört, fuhr sie herum. »Ihr kennt ihn schon? Das ist gut, sehr gut. Dann kann man ihn möglicherweise vor dem Bösen bewahren und die Funktion des Schutzengels übernehmen.«
»Glauben Sie, dass er sich in Gefahr befindet?«
»Davon bin ich überzeugt. Belial hat seinen Schutzengel nicht grundlos getötet. Vielleicht will er so an den Wehrlosen herankommen. Alles ist möglich, und wir kennen leider seine Pläne nicht.«
»Wie viele Schutzengel hat er denn schon getötet?« fragte ich.
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Ich könnte raten, doch das bringt nichts. Wenn die Welt ohne Schutzengel ist, dann ist sie auch ohne Schutz.« Sie schüttelte den Kopf und wirkte verzweifelt. Es war nicht gespielt, das sahen wir schon.
»Die Welt der toten Engel«, murmelte ich. »Ist das der Beginn einer Apokalypse?«
Claudine hob beide Hände. »Ich will es nicht hoffen. Man kann nur beten, dass es nicht soweit kommt.«
Suko hob beide Hände. »Es bringt uns nicht weiter,
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