Das Engelsgrab
hervorgedrückt hatte, sah zwar aus wie ein Mensch, doch ein richtiger war es nicht. Es war Belial, der Engel der Lügen…
***
Er hatte sich aus dem Buschwerk hervorgeschoben, aber noch nicht aufgerichtet. Das passierte wenig später, und Toby schaute ihm dabei aus großen Augen zu.
Eine nackte, große, bleigraue Gestalt. Ein Finsterling mit schmutzigen Haaren und einem Gesicht, das den Betrachter erschaudern ließ. Es malte sich in der Mitte zwischen den beiden Haarseiten ab und schien keinem lebenden Menschen zu gehören. Die hohe Stirn, die düsteren Brauen, der schmale Mund. Dazu eine Haut, die sehr bleich war und an die einer Leiche erinnerte, wobei sich innerhalb des Gesichts Furchen abzeichneten, die ebenfalls an graue Rinnsale erinnerten, in denen die Flüssigkeit erstarrt war.
Höher und höher schob sich die Gestalt. Sie sorgte dafür, dass Toby alles von ihr sehen konnte, auch das, was hinter dem Rücken wuchs und so weit hinaufreichte, dass es bis über die Schultern der Gestalt hinwegschaute. Es waren dunkle Schatten, ebenfalls mit Streifen unterlegt, und sie sahen aus wie Flügel.
Toby zitterte. Denken konnte er nicht mehr. Er stand einfach nur da, den Blick nach vorn gerichtet, und seine Augen spiegelten all den Schrecken wider, den er empfand. Pupillen wie runde, düstere Spiegel, in denen etwas Böses eingefangen worden war, was Toby noch nie erlebt hatte.
Die nackte, bleigraue Gestalt tat nichts. Sie schaute den Jungen nur an, der sich unter diesen Blicken so schrecklich klein vorkam und es nicht einmal schaffte, seinen kleinen Finger zu bewegen. Toby hatte noch nie von Belial gehört, geschweige denn einen Kontakt zu ihm bekommen.
Das geschah an diesem Tag zum erstenmal.
Er wusste auch nichts von diesem Machtinstinkt und davon, dass es Belial drauf ankam, die Lüge zur Wahrheit zu erklären.
»Ich bin da, Toby…«
Der Junge hatte die Worte gehört, und er hatte auch die Stimme erkannt. Sie gehörte Ricky. Trotzdem hatte Ricky nicht mit ihm gesprochen. Er war gar nicht da. Toby glaubte auch nicht, dass sich sein Freund noch im Versteck aufhielt, deshalb schüttelte er den Kopf.
Plötzlich konnte er auch wieder sprechen. »Nein, du bist nicht Ricky. Du bist es nicht. Du bist ein Monster. Ricky sieht nicht so aus…«
»Doch, ich bin es.«
»Nein!« schrie Toby. Sein Frust musste sich einfach freie Bahn verschaffen. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten und brüllte erneut los. »Nein, du bist nicht Ricky!«
Belial war es egal. Er hatte sich von einem Menschen noch nie stoppen lassen, und das würde er auch jetzt nicht tun. »Hör zu, mein Junge, du wirst alles tun, was ich möchte. Ich bin es, der deinen Schutz übernommen hat. Deinen Schutzengel gibt es nicht mehr. Ich habe ihn vernichtet. Jetzt bin ich an seine Stelle getreten, und ich hoffe, dass du das niemals vergessen wirst.«
Toby wusste nicht, was er davon halten sollte. Er fürchtete sich vor dieser mächtigen Gestalt, die einen Schatten warf, der sich auf der Erde verlor. Er hatte von einem Engel gesprochen, aber Engel sahen nicht so aus wie Belial.
»Du bist kein Engel!« flüsterte Toby ihm zu. »Nein, du bist kein Engel. Das kannst du nicht sein.«
»Ich bin es. Ich bin der mächtige Engel. Ich bin der Engel der Finsternis. Du hast mich jetzt gesehen, mein Junge, aber du wirst mich auch wieder vergessen. Du wirst dich erst an mich erinnern, wenn ich es so will, Toby…«
Bevor sich der Junge versah, war Belial einen großen Schritt nach vorn gegangen. Dabei hatte er seinen Arm ausgestreckt und legte nun seine Hand auf den Kopf des Kindes. Toby spürte den Druck. Er spürte auch die Hand, die für ihn kaum eine war. Sie presste sich auf die Mütze. Finger bewegten sich dabei wie dicke Würmer.
Etwas strömte durch die Mütze, durch die Haare und schließlich durch die Schädelplatte in seinen Kopf hinein, um von ihm Besitz zu ergreifen. Toby wurde verändert. Er hatte den Kopf zurückgelegt und schaute hoch in das Gesicht des Lügenengels.
Darin bewegte sich nichts. Nach wie vor sah es aus wie grauer Stein, durch den ebenfalls grau gefüllte Rinnen liefen. So wirkte das Gesicht wie das Kunstwerk eines düsteren Bildhauers. Das allerdings nahm Toby mehr am Rande wahr. Viel schlimmer und aufschlussreicher waren die Augen der Gestalt. Nie zuvor hatte er diese Augen gesehen.
Gefüllt von einer tiefen Schwärze, die nicht von dieser Welt stammen konnte. Er musste sie aus anderen Reichen hervorgeholt haben, denn die
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