Das Engelsgrab
müssen Sie sich schon abfinden.«
»Sie glauben nicht, wie schwer mir das fällt«, flüsterte sie.
Suko hatte sich an unserem Gespräch nicht beteiligt. Er saß so, dass er durch die offene Tür in den Flur hineinschauen konnte. Leider nicht in das Zimmer des Jungen, denn dieser Blickwinkel war zu schlecht.
Es wurde ruhig zwischen uns. Jeder hing seinen Gedanken nach.
Durch das offene Fenster wehten die fremden Geräusche herein.
Unterschiede konnten wir kaum ausmachen. Es glich einer leicht raunenden Kulisse, die nicht abriss.
Es begann die Zeit des Wartens, und die konnte keinem von uns gefallen. Der Fall würde sich fortsetzen, und ich rechnete mit einem Erscheinen des Lügenengels Belial, obwohl wir ihn bisher noch nicht gesehen hatten und nur annahmen, dass er die Person war, die im Hintergrund die Fäden zog.
Suko stand plötzlich auf. Schnell und trotzdem nicht abgehackt. Seine Bewegung sah geschmeidig aus, und ebenso geschmeidig bewegte er sich auch nach vorn.
Ich wusste, dass etwas passiert war. Nur er hatte es mitbekommen, denn Lilian Cramer schaute ebenso erstaunt wie ich. Keiner von uns stellte Suko jedoch eine Frage.
Er ging bis zur Tür. Dort wartete er, schaute in den Flur und lauschte dabei. Mit flüsternder Stimme gab er seinen Kommentar ab. »Ich habe etwas gehört. Toby muss aufgestanden sein.«
»Nein!« zischte Lilian, um wenig später ihre Hand gegen den Mund zu pressen. »Jetzt schon?« sprach sie in ihre Finger hinein.
Ich hatte mich ebenfalls erhoben, war neben Suko getreten und spürte plötzlich den warmen Luftzug, der gegen mich wehte. Er konnte nur entstehen, weil noch ein zweites Fenster geöffnet war. Welches da noch offen stand, darüber brauchten wir nicht zu spekulieren. Toby hatte nicht auf uns gehört.
Auch Lilian Cramer wollte aufstehen. Mit heftigen Handbewegungen bedeutete ich ihr, sitzen zu bleiben. Was jetzt passierte, ging eigentlich nur uns etwas an.
Aus Tobys Zimmer hörten wir nichts. Keine Tritte, auch kein Flüstern einer fremden Stimme, die ihn lockte. Der Junge schaffte es tatsächlich, sich lautlos zu bewegen.
Wie auch Suko lautlos vorging. Ich blieb ihm auf den Fersen. Sehr behutsam schauten wir in das Kinderzimmer hinein und entdeckten, was passiert war.
Toby stand in der vorgebauten Dachgaube. Er hatte das Fenster tatsächlich geöffnet, die Arme halb erhoben und seine Hände auf die Fensterbank gelegt. Noch traf er keine Anstalten, auf das Dach zu klettern. Er wirkte eher wie ein Mensch, der einfach nur nach draußen schauen wollte, um etwas Bestimmtes zu sehen. Seinen Kopf hatte er leicht zurückgelegt, und es gab nur ein Ziel, das ihn interessieren konnte.
Wenn er den Mond tatsächlich sah, dann war er nicht klar zu erkennen, sondern nur ein schwacher Kreis, vor den sich Wolken geschoben hatten, die durch ihn ein wenig Helligkeit mitbekamen und deshalb ihr dunkles Grau verloren.
Toby wartete noch. Er schien sich nicht schlüssig zu sein.
Möglicherweise hoffte er auf einen Kraftschub. Auch Suko und ich atmeten nur sehr flach. Auf keinen Fall durften wir Toby stören. Hinter uns schlich Lilian Cramer heran. Ich drehte den Kopf und legte einen Finger auf die Lippen.
Lilian, die so gespenstisch bleich war, nickte nur. In ihren großen Augen stand die Furcht.
Toby trug nur eine kurze Hose. Aber er war in seine flachen Turnschuhe geschlüpft. Ob absichtlich oder nicht, das wussten wir nicht zu sagen.
Der Junge bewegte sich. Wie er sich hochstemmte, ließ uns schon staunen. Das sah alles so leicht und locker aus, als wäre es nicht mit der geringsten Kraftanstrengung verbunden. Er glitt in die Höhe und beugte sich vor. Dabei winkelte er das rechte Bein an, fand eine Stütze und hockte wenig später schon in der, Fensteröffnung. Er hatte sich leicht gedreht und machte den Anschein, als wollte er noch einmal zur Tür schauen.
Als das passierte, zogen wir uns blitzschnell zurück und waren für Toby nicht zu sehen. Wir richteten uns nach dem Gehör und wurden nicht im Stich gelassen. Die entsprechenden Geräusche sagten uns, dass Toby tatsächlich auf das Dach kletterte. Auch wenn sie leise waren, in der übrigen Stille klangen sie laut genug.
Diesmal peilte ich als erster in das Zimmer. Toby war nicht mehr zu sehen. Er hatte das Dach verdammt schnell erreicht, und ebenso schnell waren wir. Hinter Suko und mir blieb Lilian Cramer zurück. Vor meinem Freund erreichte ich das Fenster und beugte mich hinaus.
Toby hatte das Dach erreicht und war
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