Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
ruhte sie tief in ihrer Seele und würde bis ans Ende ihrer Tage dort bleiben. Aber wie es schien, war nun auch Platz für eine neue, andere Liebe, die mit der ersten nicht zu vergleichen war. Die Art, wie sie Konrad geliebt hatte, war viel selbstverständlicher gewesen, von einer natürlichen, fröhlichen Unbefangenheit, in der sich ihre ganze Jugend widergespiegelt hatte. Sie hatten zusammengehört wie zwei Eier in einem Nest, waren gemeinsam erwachsen geworden, so innig verschworen und verbunden, wie es stärker nicht vorstellbar war. Nie hätte sie geglaubt, nach ihm noch einmal einen Mann lieben zu können, und doch tat sie es. Und zwar einen, der so völlig anders war, dass es erst recht kaum zu glauben war. Johann, der so viele Jahre älter war als Konrad und sich auch sonst in fast allem von ihm unterschied, mit seiner grüblerischen Schweigsamkeit, seiner kühlen Überlegenheit und seinem bedächtigen Geschick. Und mit seiner leidvollen, geheimnisumwitterten Vergangenheit, die so vieles vor ihr verborgen hielt. Dann gab es noch jene andere Seite an ihm, die er im Bett zeigte. Er war fordernd in seiner Leidenschaft, und doch achtete er immer darauf, dass sie die gleiche Freude an ihrem Beisammensein empfand wie er selbst. Er konnte verspielt sein und Dinge tun, die sie zum Lachen brachten; manchmal kitzelte er sie, und er wusste, dass sie eine Stelle hinterm Ohr hatte, auf die er nur pusten musste, um sie bis in die Zehenspitzen erschaudern zu lassen.
In der letzten Nacht hatte er sie voller Zärtlichkeit in den Armen gehalten und sein Kinn auf ihren Scheitel gelegt. Sie hatte den Herzschlag in seiner Brust gespürt und war ihm so nah gewesen wie nie zuvor.
Madlen sah auf seine Hände, und in diesem Moment kostete es sie Beherrschung, sie nicht einfach zu ergreifen und an ihr Gesicht zu drücken. Bei dem Gedanken, dass er sie bald verlassen könnte, spürte sie einen harten Kloß im Hals. Gleich darauf stellte sich jedoch eine Regung von Trotz ein. Noch war er da, und er war ihr Mann. Er hatte ihr vor dem Priester die Treue gelobt, und bei diesem zweiten Mal war er gänzlich Herr seiner Sinne gewesen.
Die Glocken läuteten, die Messe war zu Ende, alle Gemeindemitglieder strömten ins Freie. Schon auf dem Neumarkt trafen sie auf die ersten Aufrührer. Männer mit Knüppeln und Forken rannten in Richtung Schildergasse, überall waren Aufrufe zum Kampf zu hören.
Madlen sah Johann erbleichen, er trieb sie alle zur Eile an, scheuchte sie ins Haus und verriegelte Türen und Läden. Madlen bestürmte ihn mit Fragen, doch er gab keine Antwort. Stattdessen holte er hastig Latten aus dem Schuppen, die vom Zaunbau übrig geblieben waren. Er hieb sie im Hof mit der Axt der Länge nach entzwei, spitzte sie auf einer Seite an und drückte Caspar, Willi und Berni jeweils eine dieser behelfsmäßigen Lanzen in die Hand.
»Haltet sie mit beiden Händen, wenn ihr zustoßt, und legt eure ganze Kraft hinein. Bleibt nah bei der Tür, geht sofort auf sie los, wenn sie hereinkommen. Wartet nicht darauf, dass sie euch angreifen. Schlagt zuerst zu. Zögert nicht, euer Leben kann davon abhängen. Erwischt sie, bevor sie euch erwischen.«
Veit reichte er die Malzforke. »Halt sie vor dich, wenn es brenzlig wird, ansonsten bleib still sitzen.«
Cuntz schickte er in seine Kammer und befahl ihm, dort zu bleiben, komme, was da wolle. Irmla und Madlen forderte er auf, nach oben zu gehen und sich in einer der Kammern einzuschließen. Irmla gehorchte mit zitternden Gliedern, sie war schon fast oben, kaum dass er sie dazu aufgefordert hatte. Madlen hingegen weigerte sich rundweg.
»Ich will zuerst wissen, was hier los ist!«, rief sie.
Da sah er sie an. Seine Gestalt war hoch aufgerichtet, alle Muskeln gespannt. In der engen Stube wirkte er plötzlich riesenhaft und fremd. Seine Miene war steinern, nur die frischen Narben hoben sich rot vor der Blässe ab. »Los, rauf mit dir, und schließ die Tür hinter dir ab.« Er befahl es mit tödlichem Ernst, und sie wich in Richtung Treppe zurück, um zu tun, was er sagte. Im nächsten Augenblick krachte die Tür auf, und Madlen stieß einen schrillen Schrei aus.
Johann war mit einem Satz bei der Pforte. Sie waren zu viert, und sie hatten einen Balken als Rammbock benutzt. In dem Moment, als die Tür zerbarst, wurde er nur noch von seinen Instinkten beherrscht, er handelte, ohne nachzudenken. Den ersten Eindringling hatte er bereits erstochen, bevor der Mann den Balken loslassen konnte. Der
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