Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
dem rauchenden Haus vorbei. Sie schaute über die Schulter zu ihnen zurück, einen Ausdruck unaussprechlichen Grauens im Gesicht. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihr Mund verzerrt, als unterdrückte sie nur mit Mühe einen Schrei. Ihr Blick war, wie Hardefust befremdet bemerkte, auf Jobst gerichtet.
»Wer ist das?«, wollte er wissen, verärgert über die Verzögerung. »Kennst du sie?«
»Ich weiß nicht«, sagte Jobst langsam.
Die Frau war groß und schlank. Sie mochte Ende zwanzig sein, mit langem braunem Haar und feinen Gesichtszügen. Wendel war sicher, sie noch nie gesehen zu haben, dennoch kam sie ihm auf seltsame Weise bekannt vor. Während er noch versuchte, diesen Widerspruch zu ergründen, stolperte sie weiter von ihnen weg, dann wurde sie unvermittelt schneller und hastete davon. Gleich darauf war sie im Gewühl der Menschen verschwunden.
Jobst starrte grübelnd ins Leere, dann zischte er einen Fluch. »Ich weiß jetzt, wer das war. Blithildis von Bergerhausen.«
Hardefust erstarrte. »Das Kind von damals? Aber sie ist tot! Du hast sie mit eigenen Händen umgebracht, du hast es gesagt.«
»Das tat ich auch. Jedenfalls dachte ich es.« Er schüttelte abermals den Kopf. »Ich hab’s wirklich gedacht.«
Hardefust spürte Hass in sich aufwallen und widerstand dem Drang, den Mann zu züchtigen. Er brauchte ihn noch. Doch eines Tages wäre auch das vorbei, dann würde er sich seiner entledigen.
»Sie hat uns gemeinsam hier stehen sehen«, sagte er mit schneidender Stimme. »Nun wird sie sich ihren Teil zusammenreimen.«
»Ihr meint, sie wird sich denken, dass ich damals in Eurem Auftrag handelte?«
Hardefust hörte den leisen Hohn in der Stimme des Mannes, und sein Wunsch, ihm die Peitsche zu schmecken zu geben, wurde übermächtig.
Kalt erwiderte er: »Wenn sie jemanden des Mordes bezichtigen kann, dann nur dich. Du allein bist damals in Erscheinung getreten, nicht ich. Und was das angeht: Sie hat all die Jahre nichts unternommen. Warum sollte sie es jetzt auf einmal tun? Wir können also unbesorgt weitermachen.«
Jobst runzelte die Stirn. »Ich sollte sie besser suchen und umbringen«, sagte er langsam. Zum ersten Mal meinte Hardefust, im Gesicht dieses Mannes so etwas wie Besorgnis wahrzunehmen, was ihn mit leiser Genugtuung erfüllte.
»Das kannst du gern tun«, versetzte er zynisch. »Sobald wir die andere Sache erledigt haben.« Abrupt wandte er sich um und marschierte los, und diesmal folgte Jobst ihm auf dem Fuße.
Blithildis rannte wie von Furien gehetzt, sie schob sich durch das Gedränge der Aufrührer, kämpfte sich wild stoßend und schiebend hindurch, sie teilte im selben Maße aus, wie auch sie auf dem Weg in die Rheingasse drangsaliert worden war. Nur fort! Er hatte sie gesehen, hatte sie angestarrt, ihr direkt in die Seele geblickt, nur einen Wimpernschlag davon entfernt, sie zu erkennen. Sie floh wie ein gehetztes Wild vor dem Jäger, und als sie mitten in der grölenden Menge stecken blieb, schrie sie auf wie ein verwundetes Tier. Einige Männer erschraken und wichen zur Seite, das verschaffte ihr Platz. Genug, um sich den Weg zum Rand des Marktes freizukämpfen und von dort aus Umwege einzuschlagen, die sie so weit wie möglich von hier wegbrachten. Sie folgte den schmalen Gassen, die sie alle bis in den letzten Winkel kannte. Ziellos rannte sie kreuz und quer, entschied immer erst im letzten Moment, welche Richtung sie als Nächstes nahm, nur nicht die zum Konvent. Die ganze Zeit hielt sie keinen Augenblick inne, nur davon beseelt, ihm zu entkommen.
Endlich wusste sie, dass niemand hinter ihr her war, jedenfalls nicht er und auch keiner der anderen Männer, mit denen er zusammengewesen war. Sie hörte auf zu rennen, schöpfte keuchend Atem. In ihren Lungen brannte es wie Feuer, vor ihren Augen kreisten dunkle Wirbel. Ihr dröhnte der Schädel, sie musste einen Moment stehen bleiben, weil ihr so schwindlig wurde, dass sie sich kaum noch aufrecht halten konnte. Sie hatte die Einmündung des Perlengrabens bei der alten Stadtmauer erreicht, auch dort herrschte allenthalben Aufruhr, die Menschen liefen aufgescheucht herum und wollten wissen, was geschehen sei. Von allen Seiten war Geschrei zu hören.
»Die Geschlechter und die ganze Richerzechenbande wollen auf das Volk los!«, brüllte einer.
»Auf dem Heumarkt fallen sie über die gottesfürchtigen Kölner Leute her!«, schrie ein anderer. »Sie haben die arglosen Zunftbrüder aus der Kirche gezerrt, um sie
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