Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
Hauch von Frühling lag an diesem zweiten Sonntag nach Mariä Lichtmess in der Luft. Die Bäume auf dem Neumarkt zeigten noch kein Grün, doch die Sonne tauchte den großen Platz und die Häuser ringsum in ein einladendes Licht, ebenso die prächtige Stiftskirche Sankt Aposteln, die mit der geschwungenen Choranlage und den hohen, schlanken Türmen alle Gebäude der näheren Umgebung überragte. An diesem Morgen strebten die Menschen des Kirchsprengels mit besonderem Eifer zur Messe, denn nach dem beharrlichen Nieselwetter der vergangenen Wochen boten der strahlend blaue Himmel und die schon fast frühlingshafte Wärme einen besonderen Anreiz, den verräucherten, dunklen Stuben zu entfliehen und an die frische Luft zu gehen. Die ganze Welt wirkte wie blank poliert, allenthalben sah man zufriedene Gesichter. Wie es schien, war jedermann guter Dinge. Nur Madlen nicht.
Sie verlangsamte ihre Schritte, weil ihr Großvater sonst nicht mitgekommen wäre. Cuntz bestand darauf, den sonntäglichen Gang zur Kirche auf sich zu nehmen, obwohl er sich nur noch hinkend fortbewegen konnte und beim Gehen starke Schmerzen hatte. Gern hätte Madlen ihn untergefasst, um ihn zu stützen, doch das lehnte er stets ab. Noch könne er wie ein ganzer Mann aus eigener Kraft das kurze Wegstück zur Kirche bewältigen, und käme einst der Tag, da man ihn hintragen müsse, so wäre das zugleich sein Sterbetag. Selbiger sei, so seine ironische Ergänzung, nach Lage der Dinge bestimmt in absehbarer Zeit zu erwarten, aber bis dahin werde er laufen, Punktum.
Madlen konnte an solchen Äußerungen nichts Erheiterndes finden. Darüber, dass er eines Tages nicht mehr da wäre, wollte sie gar nicht erst nachdenken, nicht nur, weil sie ihn sehr lieb hatte. Ohne Cuntz würde ihr, sofern sie ledig bliebe, noch Ärgeres drohen als die Schließung der Brauerei – man würde sie unter Vormundschaft stellen, da sie nur ein hilfloses, junges Weib von zwanzig Lenzen war, mit diesen Worten hatte Onkel Eberhard es ihr erklärt. Wobei eine solche Vormundschaft natürlich entbehrlich wäre, wenn sie einen Gatten hätte.
Wie sie es auch drehte und wendete, es blieb alles höchst vertrackt und aussichtslos.
Besser wurde es auch nicht dadurch, dass ihr im Anschluss an die Messe auf dem Heimweg Barthel von der Hahnenstraße in den Weg trat. Sie wusste genau, was er wollte, und gerade deshalb konnte sie ihm schlecht ausweichen, sondern musste sich dieser Unterredung stellen.
Caspar, der hinter ihr und Cuntz herging, musterte den jungen Braumeister ablehnend, denn es war sonnenklar, warum dieser Madlen sprechen wollte: Barthel war neben Jacop der einzige ernst zu nehmende Heiratskandidat. Nach dem Tod seines Vaters im vorigen Jahr führte er allein die Brauerei in der Hahnenstraße. Er war sechsundzwanzig Jahre alt und ledig. In der Bruderschaft war er gut gelitten, und er war weder trunksüchtig noch mit Zahnfäule geschlagen, so wie die beiden anderen heiratswilligen Brauer, die im Laufe des Winters bei Madlen vorgesprochen hatten. Barthel hatte schon vor einem halben Jahr um Madlens Hand angehalten, aber sie hatte ihn vertröstet. Nun, da ihre Zeit ablief, versuchte er abermals sein Glück, was angesichts seiner Schüchternheit ein mutiges Unterfangen für ihn bedeutete. Seine Ohren, die unter der Kappe hervorlugten, waren feuerrot vor Verlegenheit.
»Geht nur ruhig schon heim, ich komme gleich nach.« Madlen vollführte eine scheuchende Geste, weil alle Mitglieder ihres Haushalts mit ihr stehen geblieben waren und Barthel beäugten wie Katzen die Maus. Barthel wich den bohrenden Blicken geflissentlich aus und knetete seine Hände, doch er hielt entschlossen die Stellung.
»Glaub mir, es gibt Schlimmere als ihn«, sagte Cuntz leutselig zu Madlen, gerade so, als wäre Barthel gar nicht anwesend. Er verpasste Berni, der ihm am nächsten stand, eine Kopfnuss. »Los, komm weiter.« An Willi gewandt, setzte er hinzu: »Du auch. Maulaffen könnt ihr auch daheim feilhalten.«
Willi murmelte eine unverständliche, aber patzig klingende Erwiderung, was ihm eine schallende Ohrfeige von Irmla eintrug. »Fort mit dir, mach, dass du heimkommst!« Sie knuffte Caspar in den Rücken. »Das gilt auch für dich«, sagte sie brummig.
Caspar verneigte sich galant, den üblichen Schalk im Blick. »Wer will sich schon weigern, eine so holde Jungfer heimzugeleiten, und das auch noch bei strahlendem Sonnenschein!«
Irmla schlug nach ihm, doch sie grinste dabei. Mit ihrem
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