Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
Hardefust den schönen Künsten eher zugeneigt war als der Jagd. Und schönen Männern eher als den Frauen. Es hieß, sein Kammerdiener sei ihm lieber als sein Waffenmeister, und dass er, sobald Wendel ihm den Rücken kehrte, aus seinen Vorlieben auch gar keinen Hehl machte, sondern sein Leben so lebte, wie es ihm gefiel. Er frönte weder der Falknerei noch der Treibjagd mit Pferden und Hunden; über das, was er stattdessen tat, konnte Johann nur Mutmaßungen anstellen.
An diesem Rosenmontag hatte Simon Hardefust Freunde eingeladen, um mit ihnen auf der Burg Karneval zu feiern, wohl in der Hoffnung, sein Vater werde es schon nicht merken, schließlich war Köln weit genug weg von Kerpen. Der alte Hardefust hatte sich jedoch ausgerechnet den heutigen Tag ausgesucht, um bei seinem einzigen Sohn nach dem Rechten zu sehen, als hätte er geahnt, was er vorfinden würde: eine ausgelassene Schar maskierter, trinkfreudiger junger Leute, die nur das Beste vom Leben wollten. Drei von ihnen – zwei Männer und eine Frau – ließen sich in einem Nachen über den See treiben, in ein handfestes Gefummel zu dritt vertieft. Ihr enthemmtes Gekicher schallte über das Wasser. Die anderen feierten lautstark im großen Saal, wie an dem fröhlichen Geschrei, das aus den Fenstern drang, unschwer zu erkennen war.
Wendel Hardefust war in Begleitung seines Gefolgsmannes erschienen, ein schlanker Mittvierziger mit scharfen Gesichtszügen und geschmeidigen Bewegungen. Über ihn hatte Johann bisher nicht viel in Erfahrung bringen können, nur, dass er Jobst hieß und Hardefusts Mann fürs Grobe war.
Ein anderer Mann stand ein wenig abseits von der Gruppe dicht bei der Mauer und wartete mit besorgter Miene das Ende des Donnerwetters ab. Er war in den Fünfzigern und hieß Sewolt. Johann kannte ihn, der Mann war bereits unter seinem Vater Burgvogt auf Bergerhausen gewesen. Es juckte Johann in den Fingern, ihn beim Kragen zu packen und ihn in einen stillen Winkel zu schleifen, wo niemand mitbekam, wie er ihm die Zunge löste.
Seit seiner Rückkehr hatte er Sewolt erst ein Mal gesprochen und dabei kaum etwas aus ihm herausbekommen. Der Burgvogt hatte einfach so getan, als könne er sich nicht richtig an ihn erinnern, und als Johann ihm auf die Sprünge geholfen hatte, war Sewolt sofort mit der scheinheiligen Beteuerung zur Hand gewesen, wie leid ihm das alles tue, dass er jedoch selbstverständlich nicht schuld daran sei.
An jenem Tag hatten sich diverse Augen- und Ohrenzeugen in der Nähe befunden, weshalb Johann seine Befragung des Burgvogts nicht mit dem erforderlichen Nachdruck hatte fortsetzen können. Doch das würde er bei nächster Gelegenheit nachholen. Was immer auch geschehen war – er würde es herausfinden.
Wendel Hardefust konnte nicht länger an sich halten, Worte waren nicht genug, um seinem Zorn Ausdruck zu verleihen. Er trat vor und schlug seinem Sohn mit dem Handrücken ins Gesicht. Simon taumelte unter dem Schlag, für Wendel nur ein weiterer Beweis, was für ein Schwächling sein Sohn war. Mit beiden Händen hielt Simon sich die Wange, und die Tränen, die dabei aus seinen Augen sprangen, kündeten ebenso wie seine kriecherische Haltung von einer Hilflosigkeit, die nichts Männliches an sich hatte.
Wendel merkte, dass es mit diesem Schlag nicht getan war. Eher steigerte sich sein Grimm beim Anblick seines heulenden Sohnes noch. Er schubste Simon zur Seite und ging auf den Burgvogt los, der ihm eingeschüchtert entgegenblickte.
»Wenn du zu schwach bist, solche unzüchtigen Ausschweifungen zu verhindern, bist du als Burgverwalter nichts wert!«
»Es tut mir leid, Herr.« Demütig senkte Sewolt den Kopf, doch das reichte nicht. Wendel wandte sich zu seinem Gefolgsmann um. »Bestrafe ihn angemessen, aber so, dass er morgen wieder gehen kann.« Er achtete nicht auf Sewolts flehend erhobene Hände und auf seine Beteuerungen, dass dergleichen nicht wieder vorkommen werde. Während Jobst sich den Burgvogt vornahm, ging Wendel zum Seeufer, wo soeben der Nachen mit den kostümierten jungen Leuten vorbeitrieb. In dem Boot lagen zwei Männer mit Tiermasken und eine trotz der kühlen Witterung halb nackte Frau. Die drei vergnügten sich auf eine Weise miteinander, die Wendels Wut überkochen ließ. Sie bemerkten nicht einmal, dass sich unerwartete Zuschauer am Seeufer eingefunden hatten, so vertieft waren sie in ihr lästerliches Treiben.
Wendel tat ein paar Schritte in den See hinein. Das Wasser drang eisig in seine
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