Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
jedoch nicht lachte, sondern dicht an Drago herantrat, den Knienden beim Schopf packte und ihm die Spitze seines Dolchs unter das ungeschützte Kinn bohrte.
»Das wirst du nicht tun«, sagte er tonlos, während er Drago von der Frau herunterzog und sich dabei so bewegte, dass er alle Männer beobachten konnte.
Drago fluchte unterdrückt, den Kopf unter Johanns Griff weit nach hinten gebogen und dem Druck der Dolchspitze ausweichend. Die Frau schob sich schluchzend unter ihm hervor, die Röcke über ihre weißen, fleischigen Schenkel hinabzerrend. Sie stülpte sich die Haube über, die bei dem Handgemenge herabgefallen war. Weinend kroch sie zu ihrem Mann hinüber, der sich benommen aufrichtete und seine blutende Nase betastete.
»Nehmt Euer Bündel und geht«, wiederholte Johann.
»Schon gut, schon gut«, sagte Drago, Johanns Hand mit dem Messer zur Seite drängend. »Ich hab’s verstanden. Johann von Bergerhausen, der Ritter ohne Fehl und Tadel. Du kannst einem aber auch jeden Spaß verderben, Mann. Was kommt als Nächstes? Holst du die Leier hervor und singst uns höfische Lieder?« Er blaffte die beiden Reisenden an: »Habt ihr ihn nicht gehört? Nun verschwindet schon, bevor meine ritterlichen Anwandlungen wieder nachlassen!«
Hastig rappelten die beiden sich hoch, rafften ihre wenigen persönlichen Habseligkeiten vom Wagen und rannten davon, gefolgt von dem Söldner, den Johann entwaffnet hatte.
Ein paar von den Raubrittern murrten, sie waren der Meinung, Johann habe sie um ihren Spaß gebracht. Einer von ihnen trat mit gezücktem Schwert vor, doch Drago brachte ihn durch einen Befehl zum Stehen. »Wir haben genug erbeutet, um uns in Köln die schönsten Weiber zu kaufen, wozu sollen wir unsere Manneskraft an so ein abgetakeltes Frauenzimmer vergeuden? Eigentlich müssen wir unserem guten Johann dankbar sein, dass er uns davon abgehalten hat. Lieber Himmel, die Frau war alt genug, um unsere Mutter zu sein! Das wäre wirklich nicht sehr ritterlich gewesen, was?« Er lachte misstönend, doch Johann sah das unstete Flackern in seinen Augen und war auf der Hut. Er achtete darauf, dass er keinem der Männer den Rücken zukehrte, als er zu seinem Pferd ging und aufsaß. An seinem Gürtel klimperte der Geldsack.
»Deinen Anteil an der Ladung und den Pferden lasse ich dir wie immer zukommen«, rief Drago ihm hinterher. Johann gab keine Antwort; er war sicher, dass Drago alles daransetzen würde, ihn übers Ohr zu hauen. Doch das focht ihn nicht an, denn mit der heutigen Beute waren seine Schulden bei Drago getilgt. Damit waren sie beide quitt.
Madlen und die Ihren besuchten am darauffolgenden Sonntag wie üblich die Kirche. Schon während Madlen vom Ende der Schildergasse aus über den Neumarkt in Richtung Sankt Aposteln ging, betete sie aus Leibeskräften zur heiligen Ursula und den heiligen Aposteln. Sie war bereit, zu sämtlichen bekannten und unbekannten Heiligen gleichzeitig zu beten, wenn es nur dabei half, ihr vordringliches Problem zu lösen.
Vor zwei Tagen war Eberhard noch einmal bei ihr gewesen und hatte sie darauf hingewiesen, dass die Frist mittlerweile auf zwei Wochen geschrumpft war. Hinterher war Caspar zu ihr gekommen, die Mütze in den Händen drehend.
»Hast du schon bei Eberhard nachgefragt?«, hatte er wissen wollen.
»Was denn?«, hatte sie verständnislos zurückgefragt, und dann war es ihr wieder eingefallen. »Oh, wegen deiner Aufnahme in die Zunft. Nein, daran habe ich nicht gedacht. Es tut mir leid, aber im Moment habe ich andere Sorgen.«
»Du kannst immer auf mich zählen, das weißt du«, hatte er ihr beteuert, doch mehr als ein kurzes Nicken hatte er ihr damit nicht entlocken können, obwohl sie mittlerweile so weit war, sogar die abwegigsten Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Wobei eine Ehe mit Caspar jedoch noch abstruser war als eine mit Jacop, was schon viel heißen wollte: Vorgestern hatte Eberhard seinen Sohn zur Untermauerung seines Anliegens mit angeschleppt, und der Junge – viel mehr war er nicht mit seinen neunzehn Jahren – hatte die ganze Zeit gequält vor sich hin gegrinst und war zappelnd von einem Fuß auf den anderen gestiegen, und als sein Vater sich endlich zum Gehen bequemt hatte, war ihm ein Seufzer der Erleichterung entwichen. Jacop lehnte diese von seinen Eltern gewünschte Verbindung mit einer so himmelschreienden Offensichtlichkeit ab, dass Madlen sich beinahe beleidigt gefühlt hätte, wenn sie nicht selbst so sehr dagegen gewesen wäre.
Ein
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