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Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin

Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin

Titel: Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Stube, die das ganze Erdgeschoss einnahm, und allem Anschein nach hatte er nicht vor, allzu bald wieder zu gehen, denn er hatte es sich in dem Lehnstuhl vor dem Kamin bequem gemacht, die Beine lang ausgestreckt und behaglich ins Feuer blinzelnd. Auf dem Schemel neben ihm stand ein Pokal mit Rotwein, und er nagte genüsslich an einem Hühnerbein, obwohl Fastenzeit war.
    Jacop nahm den Hut ab und drehte ihn verlegen zwischen den Händen, während er sich Mühe gab, in eine andere Richtung zu schauen. Doch das war nicht einfach, denn Hermann hatte es an sich, alle Blicke auf sich zu ziehen. Jacop fragte sich, wie es möglich war, dass ein Mensch aussah wie ein gelackter Schönling, aber dennoch mit tödlichster Präzision das Richtschwert zu führen verstand. Noch nie, so hieß es, habe er ein zweites Mal zuschlagen müssen, und wenn man schon seiner eigenen Hinrichtung entgegenbangen müsse, dann sei es angeraten, sich von Hermann enthaupten zu lassen.
    Für die Handlangerdienste hatte er Knechte. Schinder und Abdecker, die alle schmutzigen Arbeiten für ihn verrichteten, etwa das Verscharren der Leichen, ganz oder in Teilen. Für das Foltern und Rädern hatte er geschulte Gehilfen, und den Henkerskarren ließ er von einem Fuhrknecht kutschieren, er selbst ritt hoch zu Ross voraus. Hermann war ein unumstrittener Fachmann auf seinem Gebiet, man sagte, er habe das Köpfen zu einer wahren Kunst erhoben.
    Er war ungefähr dreißig und von gediegenem Auftreten, Kleidung und Stiefel waren gepflegt und sauber. Blutflecken oder Leichengestank suchte man an ihm vergebens. Sein ordentlich gescheiteltes, dunkles Haar hing in gefälligen Locken bis auf die Schultern, sein Lächeln war ungezwungen. Es schien ihn kein bisschen zu stören, dass die meisten Menschen ihn mieden. Obwohl Jacop, wenn er ihn hier so sitzen sah, einräumen musste, dass es ihn an Hermanns Stelle auch nicht gestört hätte, denn schließlich durfte er jederzeit ungefragt bei Appolonia aufkreuzen und es sich in ihrem Lehnstuhl bequem machen.
    Jacop drehte sich um, er wollte Kunlein fragen, wo Appolonia steckte, doch sie war bereits wieder über die Stiege nach oben verschwunden. Hermann musterte ihn, während er den Pokal ergriff und von dem Wein nippte.
    Jacops Kehle fühlte sich mit einem Mal eng an. Die Nähe des Henkers verstörte ihn jedes Mal aufs Neue, am liebsten hätte er die Flucht ergriffen. Doch seine Sehnsucht nach Appolonia war stärker.
    »Bist du angemeldet?«, fragte Hermann.
    Jacop schluckte heftig, dann schüttelte er den Kopf. Nein, er war nicht angemeldet, vielleicht war das ein Fehler. Es war schon ein paarmal vorgekommen, dass er sie spontan aufgesucht hatte, und da hatte sie ihn weggeschickt – genauer, Kunlein hatte ihn weggeschickt, weil Appolonia beschäftigt war. Mit einem anderen.
    Von oben war ein Knarren und Quietschen zu hören, wie von einer wackelnden Bettstatt, und dann ertönte ein gepresster männlicher Aufschrei. Jacop fuhr erschrocken zusammen, es fiel nicht weiter schwer, sich einen Reim auf die Geräusche zu machen, und er hoffte bloß inständig, dass sie nicht aus Appolonias Kammer kamen, sondern aus der von Kunlein. Oder aus dem dritten und kleinsten Zimmerchen im Obergeschoss, jenem, in dem die Magd hauste.
    Hermann legte den Hühnerschenkel beiseite, stand auf und reckte sich. Er verschränkte die schlanken, langen Finger seiner tödlichen Hände und dehnte sie, bis sie knackten. Jacop konnte die Muskeln an den starken Oberarmen und den breiten Schultern spielen sehen, und erneut wurde der Drang zu fliehen fast übermächtig.
    »Sie ist gleich frei für dich, mein Junge.« Hermanns Stimme war sanft und höflich. »Du kannst schon mal bezahlen.«
    »Äh … was?«
    »Dein Stündchen mit unserer Schönen.«
    Es missfiel Jacop, wie Hermann von unserer Schönen sprach, fast so, als hätte er Besitzansprüche auf sie. Zum ersten Mal wollte er aufbegehren und darauf hinweisen, dass Appolonia nur ihn allein liebte und eigentlich überhaupt kein Geld von ihm gewollt hätte, wenn nicht die Sorge um ihr Wohlergehen sie dazu gezwungen hätte. Doch er brachte keinen Ton heraus. Mit dem Henker zu reden hieß, dem Tod den Weg zu bereiten. Oder Schlimmerem. Wer konnte schon wissen, ob Hermann nicht mit Dämonen im Bunde war?
    »Na?«, fragte Hermann mit ausgestreckter Hand. Jacop glotzte die Hand an. Der Schweiß brach ihm aus, und die drei Pfennige in seiner rechten Faust begannen zu brennen. Seine Lippen bewegten sich,

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