Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
an Jacop auszulassen, zumal er nicht unerheblich an dieser ganzen Misere beteiligt war, doch dann tauchte ein Reiter auf, eine von der gerade aufgehenden Sonne rötlich beleuchtete Gestalt im dunklen Umhang und mit tief ins Gesicht gezogener Kappe. Madlen, die gerade zu einer wüsten Beschimpfung angesetzt hatte, klappte den Mund wieder zu und erschauderte. Hermann, der Scharfrichter, schaffte es, allein durch sein Erscheinen für Beklemmung zu sorgen. Dabei kannte sie ihn sonst als durchaus umgänglichen und friedvollen Mann, denn er war zugleich auch der Herr der Goldgräber und befehligte deren Einsätze. Wer seine Sickergrube ausheben lassen wollte, musste zu Hermann gehen. Wo immer in Köln eine Jauchegrube auszuleeren war – Hermann sorgte dafür, dass es zuverlässig und schnell im Schutze der Dunkelheit erledigt wurde.
Hinter Hermann kam der Henkerskarren in Sicht. Ein Esel zog das schwankende Gefährt. Neben ihm ging ein geduckter, schäbig gekleideter Mann, der das Tier am Halfter führte – der Schinder, der die Toten nach der Hinrichtung auf freiem Feld in der nackten Erde verscharrte, wobei manche von ihnen bereits so verwest waren, dass der Gestank bei Südwind und an warmen Tagen sogar bis über die Stadtmauern drang. Zur Abschreckung wurden die Leichen tage-, oft sogar wochenlang am Galgen hängen gelassen. Die Köpfe der Enthaupteten wurden auf lange Stangen gesteckt, um alle, die des Weges kamen, mit grausigem Nachdruck daran zu erinnern, dass gewisse Sünden schlimme Folgen nach sich zogen.
Hinten auf dem Karren lag der Delinquent, ein unförmiger, von einer Decke verhüllter Hügel. Auf Befehl des Scharfrichters hielt der Schinder an und stierte gelangweilt in die Runde.
Hermann kam zu Madlen herübergeritten.
»Gott zum Gruße, schöne Brauerin!«
»Ja«, stieß Madlen hervor. Alles in ihr drängte sie, seinen Blick zu meiden, denn ein jeder wusste, dass es Unglück brachte, ihm zu nahe zu kommen, vor allem, wenn er in seiner Eigenschaft als Henker vor einem stand. Mit dem Kinn deutete sie auf den Karren. »Lebt er überhaupt noch?«
»Aber ja«, sagte Hermann freundlich.
»Er wird mir nichts nützen, wenn er zu schwach zum Weiterleben ist.« Sie sandte einen grollenden Blick in Jacops Richtung. »Dann bin ich wieder Witwe, und mein ganzer Ärger fängt von vorn an.«
»Er hat ziemlich viele Prügel eingesteckt. Aber Knochen sind keine gebrochen.« Einschränkend fügte Hermann hinzu: »Nun ja, vielleicht eine oder zwei Rippen. Nichts Ernstliches. Sein Augenlicht hat er ebenfalls behalten. Bei guter Kost und Pflege wird er bald wieder auf voller Höhe sein.«
Madlen stieg vom Kutschbock und ging zu dem Eselskarren hinüber. Der Schinder verströmte einen widerlichen Gestank nach Aas, und auch der Karren roch, als sei jedes einzelne morsche Brett aus einem alten Grab ausgebuddelt worden. Madlen lupfte die Decke. Und fuhr erschrocken zurück. Die in schmutzige, zerrissene Kleidung gehüllte Gestalt sah kaum noch aus wie ein Mensch. Das Gesicht, das aus der filzigen Gugel hervorlugte, war so entstellt, dass die Gesichtszüge nur noch zu ahnen waren. Er ähnelte in nichts mehr dem Mann, den Madlen kannte. Die Brauen waren unter harten Hieben geplatzt, über das Jochbein zog sich ein langer, blutverkrusteter Schnitt, der Mund war dick verschwollen und ebenfalls blutig verfärbt. Die Augen waren nur noch schmale Schlitze inmitten monströser Schwellungen. Grünblaue und violette Striemen zogen sich kreuz und quer über das schrecklich zerschlagene Antlitz, man mochte bei dem Anblick kaum glauben, dass er sich von diesen Misshandlungen je wieder erholte.
»Ehrlich, Madlen, ich wusste nicht, dass er so hässlich ist!« Jacop blickte betroffen über ihre Schulter.
Madlen achtete nicht auf ihn, sondern fuhr zu dem Henker herum, sie bebte vor Zorn und Entsetzen. »Wie konntet Ihr nur! Warum muss jemand, der ohnehin zum Tode verurteilt ist, vorher noch so leiden?«
In einer Geste der Unschuld hob Hermann die schwarz behandschuhten Hände. »Ich bin nicht für seinen Zustand verantwortlich, falls Ihr das glaubt. Die Prügel hat er von den Söldnern bekommen, die ihn geschnappt haben. Und weitere Schläge von den Schergen der Gewaltrichter. Und zu guter Letzt wohl noch welche von den Wächtern des Greven.«
»Das ist ein gutes Zeichen!«, sagte Jacop voller Eifer. »Jemand, dem solcherart das Fell gegerbt wurde und der folglich so schlecht gelitten ist, wird sein Heil beizeiten an einem
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