Das Erbe der Elfen
gebe das Geld ... Alles geb ich ... Ich zeige, wo es versteckt ist ...«
»Wo ist Rience, Myhrman?«
Der Quacksalber erzitterte beim Klang dieser Stimme. Er gehörte nicht zu den Ängstlichen, es gab nicht viele Dinge, vor denen er sich fürchtete. Doch in der Stimme des Weißhaarigen lagen alle diese Dinge. Und noch ein paar dazu.
Mit einer übermenschlichen Anstrengung wurde er der Furcht Herr, die wie ein widerlicher Wurm durch seine Därme kroch.
»Hä?«, täuschte er Staunen vor. »Was? Wer? Was habt Ihr gesagt?«
Der Mann beugte sich vor, und Myhrman erblickte sein Gesicht. Er erblickte die Augen. Und bei diesem Anblick sackte ihm der Magen geradezu bis zum Mastdarm hinab.
»Keine Ausflüchte, Myhrman, und wedel nicht mit dem Schwanz«, erklang aus dem Dunkel die bekannte Stimme Shanis, der Medizinstudentin von der Universität. »Als ich vor drei Tagen bei dir war, hat hier auf diesem Schemel, an diesem Tisch ein Herr in einem Mantel mit Bisambesatz gesessen. Er hat Wein getrunken, und du bewirstest nie jemanden außer den besten Freunden. Er hat sich an mich herangemacht, wollte mich zum Tanz in die ›Drei Glöckchen‹ einladen. Ich musste ihm sogar ein paar auf die Finger geben, weil er handgreiflich wurde, weißt du noch? Und du hast gesagt: ›Lasst sie in Ruhe, Herr Rience, verschreckt sie mir nicht, ich muss mit denen von der Akademie gut auskommen und Geschäfte machen.‹ Und ihr habt beide brüllend gelacht, du und dein Herr Rience mit der angesengten Visage. Spiel also jetzt nicht den Dummen, denn du hast es mit Leuten zu tun, die nicht dümmer sind als du. Rede, solange sie dich höflich bitten.«
Ach, du neunmalkluges Studentenweib, dachte der Quacksalber. Du verräterisches Miststück, du rothaarige Vettel, dich werde ich kriegen, dir werd ich’s heimzahlen ... Wenn ich mich nur herauswinde ...
»Was für ein Rience?«, begann er zu heulen und wand sich dabei, konnte aber nicht unter dem Absatz wegrutschen, der ihm aufs Brustbein drückte. »Und woher soll ich wissen, wer er ist und wo? Hier kommen alle möglichen Leute, wie soll ich ...«
Der Weißhaarige beugte sich noch weiter vor und zog langsam aus dem Schaft des anderen Stiefels ein Stilett, während er den Druck des ersten Stiefels gegen die Brust des Quacksalbers verstärkte.
»Myhrman«, sagte er leise. »Du kannst es glauben oder nicht. Aber wenn du mir nicht augenblicklich sagst, wo Rience ist ... Wenn du mir nicht augenblicklich verrätst, wie du mit ihm Kontakt aufnimmst ... Dann verfüttere ich dich stückchenweise an die Aaale im Kanal. Mit den Ohren werde ich anfangen.«
Etwas in der Stimme des Weißhaarigen ließ den Quacksalber sofort jedes Wort glauben. Er schaute auf die Klinge des Stiletts und wusste, dass sie schärfer war als die Messer, mit denen er selbst Geschwüre und Furunkel aufschnitt. Er begann derart zu zittern, dass der auf seine Brust gestellte Stiefel nervös zu zucken begann. Doch er schwieg. Er musste schweigen. Vorläufig. Denn wenn Rience zurückkäme und fragen würde, warum er ihn verraten hatte, müsste Myhrman imstande sein aufzuzeigen, warum. Ein Ohr, dachte er, ein Ohr muss ich aushalten. Dann sage ich es ...
»Wozu Zeit verlieren und sich mit Blut vollschmieren?«, ertönte plötzlich in der Finsternis die weiche Altstimme einer Frau. »Wozu riskieren, dass er drum herumredet und lügt? Erlaubt, dass ich ihn mir auf meine Art vornehme. Er wird so schnell reden, dass er sich auf die Zunge beißt. Haltet ihn fest.«
Der Quacksalber heulte auf und wand sich in den Fesseln, doch der Weißhaarige drückte ihn mit dem Knie zu Boden, packte ihn an den Haaren und verdrehte ihm den Kopf. Neben ihm kniete sich jemand hin. Er roch Parfüm und nasse Vogelfedern, spürte die Berührung von Fingern an der Schläfe. Er wollte schreien, doch Entsetzen stopfte ihm die Kehle – er konnte nur krächzen.
»Du willst schon schreien?«, schnurrte die weiche Altstimme an seinem Ohr wie eine Katze. »Zu früh, Myhrman, zu früh. Aber gleich fange ich an. Wenn die Evolution in deinem Hirn irgendwelche Furchen hervorgebracht hat, werde ich sie dir etwas vertiefen. Und dann wirst du merken, was schreien heißt.«
»Unsere Könige«, sagte Vilgefortz, nachdem er sich den Bericht angehört hatte, »haben also begonnen, selbständig zu denken. Sie haben begonnen, selbständig Pläne zu machen, und sind in überraschendem Tempo vom Denken auf taktischer Ebene zum strategischen
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