Das Erbe der Elfen
geblendet, uns sich unterworfen. Wir sind Bauern in seinem Spiel. In einem Spiel, dessen Regeln wir nicht kennen.
Die linke Manschette lag schon wieder anders als die rechte. Die Zauberin zog sie sorgfältig zurecht.
»Die Pläne der Könige befinden sich in der Phase der Verwirklichung«, sagte sie langsam. »In Kaedwen und in Aedirn hat eine Offensive gegen die Scioa’tael begonnen. Es wird das Blut der Elfenjugend vergossen. Es kommt zu Verfolgungen und Pogromen gegen Nichtmenschen. Es ist von einem Angriff auf die freien Elfen von Dol Blathanna und den Blauen Bergen die Rede. Das ist Massenmord. Sollen wir Gedymdeith und Enid Findabair übermitteln, dass du rätst, tatenlos zuzuschauen? So zu tun, als sähen wir nichts?«
Vilgefortz wandte ihr den Kopf zu. Gleich wirst du die Taktik ändern, dachte Tissaia. Du bist ein Spieler, du hast am Geräusch erkannt, welche Würfel über den Tisch rollen. Du wirst die Taktik ändern. Andere Töne anschlagen.
Vilgefortz wandte den Blick nicht von ihr. »Du hast recht, Tissaia«, sagte er knapp. »Ein Krieg mit Nilfgaard ist eine Sache, aber wenn Nichtmenschen abgeschlachtet werden, dürfen wir nicht tatenlos zuschauen. Ich schlage vor, eine Beratung einzuberufen, eine Beratung aller bis einschließlich der Meister dritten Grades, also auch derjenigen, die seit der Schlacht um Sodden in den königlichen Räten sitzen. Auf der Zusammenkunft werden wir an ihre Vernunft appellieren und ihnen auftragen, die Monarchen zu mäßigen.«
»Ich unterstütze dieses Projekt«, sagte Terranova. »Wir werden eine Zusammenkunft einberufen, ihnen in Erinnerung bringen, wem sie in erster Linie Loyalität schulden. Beachtet, dass gegenwärtig sogar einige Mitglieder unseres Rates Könige beraten. Im Dienste der Könige stehen Carduin, Philippa Eilhart, Fercart, Radcliffe, Yennefer ...«
Beim letzten Namen zuckte Vilgefortz. Natürlich nur innerlich. Doch Tissaia de Vries war die Erzmeisterin. Sie spürte den Gedanken, den Impuls, der vom Arbeitstisch und der magischen Apparatur zu den beiden auf dem Tisch liegenden Büchern übersprang. Beide Bücher waren unsichtbar, von Magie überdeckt. Die Zauberin konzentrierte sich, durchbrach die Abschirmung.
Aen Ithlinnespeath
, die Weissagungen von Ithlinne Aegli aep Aevenien, der Elfenprophetin. Die Vorhersage des Endes der Zivilisation, die Prophezeiung von Untergang, Vernichtung und Rückfall in die Barbarei, die zusammen mit den Eismassen kommen sollten, die von den Grenzen des ewigen Frostes her vorrücken würden. Und das andere Buch ... Sehr alt ... Beschädigt ...
Aen Hen Ichaer
... Das Ältere Blut ... Elfenblut?
»Tissaia? Was sagst du dazu?«
»Ich bin dafür.« Die Zauberin rückte den Ring zurecht, der sich am Finger auf die falsche Seite gedreht hatte. »Ich befürworte das Projekt von Vilgefortz. Wir werden eine Zusammenkunft einberufen. So schnell wie möglich.«
Metall, Stein, Kristall, dachte sie. Du suchst Yennefer? Wozu? Und was hat Yennefer mit Ithlinnes Weissagung zu schaffen? Und mit dem Älteren Blut der Elfen? Was für Ränke schmiedest du, Vilgefortz?
Verzeihung, sagte telepathisch Lydia van Bredevoort, die lautlos eingetreten war. Der Zauberer stand auf.
»Entschuldigt«, sagte er, »aber das ist dringend. Ich warte seit gestern auf diesen Brief. Es dauert nur einen Augenblick.«
Artaud gähnte, unterdrückte ein Aufstoßen, griff nach der Karaffe. Tissaia blickte zu Lydia hin. Lydia lächelte. Mit den Augen. Anders konnte sie es nicht.
Die untere Hälfte des Gesichts von Lydia van Bredevoort war eine Illusion.
Vor vier Jahren hatte Lydia auf Geheiß von Vilgefortz, ihrem Meister, an Untersuchungen der Eigenschaften eines Artefakts teilgenommen, das bei Ausgrabungen in einer alten Nekropole gefunden worden war. Wie sich erwies, war das Artefakt mit einem starken Fluch belegt. Es wurde nur einmal aktiv. Von den fünf Teilnehmern am Experiment der Zauberer starben drei an Ort und Stelle. Der vierte verlor die Augen, beide Hände und wurde wahnsinnig. Lydia kam mit Verbrennungen, einer zerstörten Kinnlade und einer Veränderung von Gurgel und Kehlkopf davon, die sich bisher allen Versuchen einer Wiederherstellung widersetzt hatten. Man hatte also zu einer starken Illusion gegriffen, damit die Leute beim Anblick von Lydias Gesicht nicht in Ohnmacht fielen. Es war eine sehr starke, kunstvoll eingerichtete Illusion, die selbst die Auserwählten schwer durchdringen konnten.
»Hmm ...«
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