Das Erbe der Elfen
»In dem Traum ...«
»Ich weiß«, sagte die Zauberin mit seltsamer, fremder Stimme. »Deshalb bin ich hier. Bei dir.«
Vor dem Fenster, im Dunkeln, rauschte der Regen auf dem Laub der Bäume.
»Donnerwetter«, murrte Rittersporn und schüttelte das Wasser von der regennassen Krempe seiner Mütze. »Das ist ja kein Haus, sondern die reinste Festung. Wovor fürchtet sich dieser Quacksalber, dass er sich derart verschanzt hat?«
Die Boote und Barken, die am Ufer vertäut lagen, wiegten sich träge auf dem vom Regen gekräuselten Wasser, stießen mit leisem Geräusch aneinander, knarrten, klirrten mit den Ketten.
»Dies ist das Hafenviertel«, erklärte Shani. »Es mangelt hier nicht an Banditen und anderem Gesindel, einheimischem und zugereistem. Zu Myhrman kommen viele Leute, bringen ihm Geld ... Alle wissen das. Und auch, dass er allein lebt. Also hat er sich abgesichert. Wundert euch das?«
»Nicht die Spur.« Geralt betrachtete das Bauwerk, das an die fünf Klafter vom Ufer entfernt auf in den Kanalgrund gerammten Pfählen stand. »Ich überlege, wie wir auf diese Insel kommen, in diese Wasserhütte. Wir werden uns wohl still und heimlich eins von den Booten ausleihen müssen ...«
»Nicht nötig«, sagte die Medizinstudentin. »Da gibt es eine Zugbrücke.«
»Wie überzeugst du den Quacksalber, dass er sie herablässt? Außerdem ist da noch ein Tor, und einen Rammbock haben wir nicht dabei ...«
»Überlasst das mir.«
Eine große graue Eule landete lautlos auf dem Geländer des Stegs, schlug mit den Flügeln, sträubte das Gefieder und verwandelte sich in Philippa Eilhart, nicht weniger zerzaust und nass als die anderen.
»Was mache ich hier?«, murmelte die Zauberin wütend. »Was mache ich hier mit euch zusammen, zum Teufel? Ich balanciere auf einem nassen Balken ... und am Rande des Hochverrats. Wenn Dijkstra erfährt, dass ich euch geholfen habe ... Und dann noch dieser Nieselregen ... Ich kann es nicht leiden, bei Regen zu fliegen. Ist es hier? Das ist Myhrmans Haus?«
»Ja«, bestätigte Geralt. »Hör zu, Shani. Versuchen wir ...«
Sie traten dicht zusammen, begannen zu flüstern, im Dunkel unter dem vorspringenden Strohdach eines Schuppens verborgen. Aus einer Schenke auf der gegenüberliegenden Seite des Kanals fiel ein schmaler Lichtstreifen. Es waren Gesang, Gelächter und Geschrei zu hören. Drei Flößer kamen auf die Uferstraße heraus. Zwei stritten sich, zerrten und stießen einander, wobei sie immer wieder dieselben Flüche wiederholten, bis zum Überdruss. Der dritte, gegen einen Pfahl gelehnt, pisste in den Kanal und pfiff dabei falsch.
Dong,
ertönte metallisch das Eisenblech, das mit einem Riemen an einem Pfosten auf dem Steg befestigt war.
Dong.
Der Quacksalber Myhrman öffnete ein Fensterchen, schaute heraus. Die Laterne, die er in der Hand hielt, blendete ihn nur, also stellte er sie weg.
»Wer zum Teufel läutet da mitten in der Nacht?«, schrie er wütend. »Klopf dir auf den Hohlkopf, du Scheißkerl, blöder Misthopper, wenn du Lust hast, wo draufzuklopfen! Weg hier, zieh Leine, verpiss dich, dalli! Ich habe hier eine gespannte Armbrust! Will jemand sechs Zoll Bolzen in den Arsch kriegen?«
»Herr Myhrman! Ich bin das, Shani!«
»Hä?« Der Quacksalber lehnte sich weiter heraus. »Fräulein Shani? Jetzt, mitten in der Nacht? Wieso denn das?«
»Lasst die Brücke herunter, Herr Myhrman! Ich bringe Euch, worum Ihr gebeten habt!«
»Ausgerechnet jetzt, im Dustern? Konntet Ihr nicht bei Tage kommen, Fräuleinchen?«
»Bei Tage gibt’s zu viele Augen.« Eine schmächtige Silhouette im grünen Mantel war auf dem Steg zu sehen. »Wenn herauskommt, was ich Euch bringe, fliege ich von der Akademie. Lasst die Brücke herunter, ich will nicht im Regen stehen, meine Schuhe sind schon ganz durchnässt.«
»Ihr seid nicht allein, Fräuleinchen«, stellte der Quacksalber misstrauisch fest. »Für gewöhnlich kommt Ihr allein. Wer ist das da bei Euch?«
»Ein Freund, ein Kommilitone. Sollte ich allein durch die Nacht gehen, hier in Euer verrufenes Viertel? Denkt Ihr, meine Unschuld ist mir schnuppe, oder was? Lasst mich endlich herein, zum Kuckuck!«
Vor sich hin murrend, löste Myhrman die Sperre der Kurbel, die Brücke senkte sich knarrend, stieß auf die Bretter des Stegs. Der Quacksalber trottete zur Tür, schob Balken und Riegel zurück. Ohne die gespannte Armbrust aus der Hand zu legen, schaute er vorsichtig heraus.
Er sah nicht die auf
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