Das Erbe der Elfen
›komm nicht rein‹?« Der Dichter drückte das Fenster weiter auf. »Du bist nicht allein, oder was? Bumst du vielleicht gerade?«
Ohne eine Antwort zu erhalten oder auch nur zu erwarten, wälzte er sich aufs Fensterbrett und warf ein paar Äpfel und Zwiebeln hinunter, die dort lagen.
»Geralt ...«, ächzte er und verstummte augenblicklich. Und dann fluchte er halblaut angesichts der hellgrünen Kleidung, die auf dem Fußboden lag und einer Medizinstudentin gehörte. Er machte vor Staunen den Mund auf und fluchte abermals. Alles hätte er erwartet, aber das nicht.
»Shani ...« Er schüttelte den Kopf. »Dass mich doch ...«
»Ohne Kommentare, bitte schön.« Der Hexer setzte sich im Bett auf. Shani aber bedeckte sich, zog die Decke bis an die Stupsnase hoch.
»Nun komm schon rein.« Geralt langte nach der Hose. »Wenn du durchs Fenster hereinkommst, muss die Sache wichtig sein. Denn wenn sie nicht wichtig ist, werfe ich dich sofort durch dieses Fenster hinaus.«
Rittersporn kletterte vom Fensterbrett und riss die restlichen Zwiebeln mit. Er zog mit dem Fuß einen Schemel heran und setzte sich. Der Hexer hob Shanis Kleidung und die eigene vom Fußboden auf. Er machte kein besonders frohes Gesicht. Schweigend zog er sich an. Die Medizinstudentin versteckte sich hinter seinem Rücken und mühte sich mit dem Hemd ab. Der Dichter betrachtete sie dreist und suchte im Geiste nach Vergleichen und Reimen für die im Lichte der Öllampe goldfarbene Haut und die Form der kleinen Brüste.
»Was ist los, Rittersporn?« Der Hexer schloss die Schnallen der Stiefel. »Rede.«
»Pack deine Sachen«, antwortete der Dichter trocken. »Du musst dringend abreisen.«
»Wie dringend?«
»Ungewöhlich dringend.«
»Shani ...« Geralt räusperte sich. »Shani hat mir von den Spitzeln erzählt, die dir auf den Fersen waren. Du hast sie abgehängt, soweit ich verstehe?«
»Nichts verstehst du.«
»Rience?«
»Schlimmer.«
»Dann verstehe ich wirklich nichts ... Die Redanier? Dreiberg? Dijkstra?«
»Du hast es erraten.«
»Das ist noch kein Grund ...«
»Das ist durchaus ein Grund«, unterbrach ihn Rittersporn. »Es geht ihnen nicht mehr um Rience, Geralt. Es geht ihnen um das Mädchen und um Yennefer. Dijkstra will wissen, wo sie sind. Er wird dich zwingen, es ihm zu verraten. Verstehst du jetzt?«
»Jetzt ja. Verschwinden wir also. Wir werden das Fenster nehmen müssen?«
»Unbedingt. Shani? Kommst du zurecht?«
Die Studentin zog ihre Kleidung enger zusammen. »Das ist nicht das erste Fenster in meinem Leben.«
»Das dachte ich mir.« Der Dichter betrachtete sie aufmerksam und erwartete eine Röte in ihrem Gesicht zu sehen, die sich als Reim und Metapher gut machen würde. Er hatte sich getäuscht. Fröhlichkeit in den braunen Augen und ein freches Lächeln war alles, was er sah.
Auf dem Fensterbrett landete lautlos eine große graue Eule. Shani schrie leise auf. Geralt griff nach dem Schwert.
»Sei nicht albern, Philippa«, sagte Rittersporn.
Die Eule verschwand, an ihrer Stelle erschien Philippa Eilhart in einer wenig eleganten Hocke. Die Zauberin sprang sofort in die Kammer, strich sich Haare und Kleidung glatt.
»Guten Abend«, sagte sie kalt. »Stell mich vor, Rittersporn.«
»Geralt von Riva. Shani von der Medizin. Und diese Eule, die mir so schlau nachgeflogen ist, ist gar keine Eule. Es ist Philippa Eilhart vom Rat der Zauberer, gegenwärtig im Dienste König Wisimirs, die Zierde des Hofes in Dreiberg. Schade, dass wir hier nur einen Stuhl haben.«
»Der genügt vollauf.« Die Zauberin setzte sich auf den von dem Troubadour freigemachten Hocker, ließ einen eindringlichen Blick über die Anwesenden schweifen, ihn etwas länger auf Shani verweilen. Zu Rittersporns Überraschung wurde die Studentin plötzlich rot.
»Im Grunde betrifft der Anlass meines Hierseins ausschließlich Geralt von Riva«, begann Philippa nach einem Moment. »Mir ist jedoch bewusst, dass es unhöflich wäre, jemanden hinauszubitten, daher ...«
»Ich kann gehen«, sagte Shani unsicher.
»Kannst du nicht«, murmelte Geralt. »Niemand kann das, bis die Situation geklärt ist. Nicht wahr, Frau Eilhart?«
»Für dich Philippa.« Die Zauberin lächelte. »Lassen wir die Förmlichkeiten weg. Und niemand braucht hier hinauszugehen, mich stört niemandes Anwesenheit. Höchstens überrascht sie mich, aber nun ja, das Leben ist eine ununterbrochene Kette von Überraschungen ... wie eine von meinen Bekannten zu
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