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Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance

Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance

Titel: Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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wieder tun wird? Aber wer kann wissen, wen es treffen wird?
    Der einzige Laut in den Gemächern der Königin ist das Einstechen von einem Dutzend Nadeln in rauen Stoff und das leise Rascheln, wenn der Faden hindurchgezogen wird. Lachen und Musik und der Lärm der Kartenspieler sind nun verstummt. Niemand wagt es, zu sprechen. Sie war immer sehr zurückhaltend, wog ihre Worte genau ab, aber nun, in diesen Tagen der Angst, ist sie mehr als nur diskret, sie ist wie mit Stummheit geschlagen.
    Einige Plätze in den Gemächern sind leer. Katherine Howard ist fort, und die Zimmer sind ohne sie ruhiger, aber auch öder. Lady Lisle hält sich verborgen, bei den wenigen Freunden, die sie noch empfangen. Lady Southampton hat einen Vorwand gefunden, um ebenfalls den Hof verlassen zu können. Southampton war ja auch ein Freund der Königin, als sie ganz neu nach England kam. Anne Bassett ist seit der Verhaftung ihres Vaters mit Krankheit geschlagen und bei einer Verwandten untergekommen. Catherine Carey ist ohne Umschweife von ihrer Mutter nach Hause geholt worden, denn Mary Boleyn weiß sehr genau, wie rasch Königinnen stürzen können. Auch Mary Norris ist von ihrer Mutter nach Hause beordert worden. Alle, die der Königin ewige, unsterbliche Freundschaft geschworen haben, fürchten nun voller Entsetzen, dass sie dieses Versprechen einlösen müssten und gemeinsam mit ihr untergehen. Wir Hofdamen haben Angst, in dem Netz mit gefangen zu werden, das für die Königin ausgelegt wurde.
    Ich sage »wir«, doch das nimmt diejenigen aus, die bereits wissen, dass sie nicht die möglichen Opfer, sondern das Netz sind. Wir, das sind die Agenten des Königs: Lady Rutland, Catherine Edgecombe und ich. Sobald die Königin verhaftet ist, werden wir drei gegen sie aussagen. Das gibt uns Sicherheit. Zumindest uns dreien wird nichts geschehen.
    Man hat mir noch nichts über den Inhalt meiner Aussage mitgeteilt, ich weiß nur, dass ich eine schriftliche Erklärung beeiden soll. Ich bin über jedes Mitgefühl hinaus. Ich fragte meinen Onkel, den Herzog, ob ich nicht verschont werden könnte, und er erwiderte, im Gegenteil, ich solle doch froh sein, dass der König mir wieder vertraute. Ich glaube, mehr kann ich weder sagen noch tun. Ich ergebe mich diesen schlimmen Zeiten, ich werde wie ein Stück Treibholz auf den Wellen der königlichen Launen tanzen. Und wenn ich ganz ehrlich bin: Ich kann meinen Kopf nur hochhalten, indem ich jemand anderen unter Wasser drücke. Wenn man Schiffbruch erleidet, ist jeder Ertrinkende sich selbst der Nächste.
    Donnernd wird an die Tür geklopft, und ein Mädchen schreit angstvoll auf. Wir alle springen auf, weil wir sicher sind, dass die Soldaten bereits vor der Tür stehen, wir erwarten unsere Verhaftung. Rasch schaue ich zur Königin. Sie ist schneeweiß im Gesicht, niemals habe ich eine Frau so bleich gesehen, außer im Tode. Ihre Lippen sind tatsächlich blau vor Angst.
    Die Tür geht auf. Es ist mein Onkel, der Herzog von Norfolk, dessen langes Gesicht ausgezehrt wirkt. Der schwarze Hut auf seinem Kopf lässt ihn wie einen Richter erscheinen.
    »Euer Gnaden«, sagt er, tritt näher und verneigt sich tief.
    Sie schwankt wie eine junge Silberbirke. Ich eile an ihre Seite und nehme ihren Arm. Ich spüre, wie sie unter meiner Berührung erschauert, und erkenne, dass sie glaubt, ich werde sie nun verhaften, sie festhalten, während mein Onkel das Urteil verkündet.
    »Es ist schon gut«, flüstere ich, aber natürlich weiß ich nicht, ob alles gut ist. Denn draußen auf dem Gang steht mindestens ein halbes Dutzend königliche Wachen.
    Sie hebt ihren Kopf und richtet sich zu ihrer vollen Größe auf. »Guten Abend«, sagt sie in ihrer ulkigen Aussprache. »Mylord Herzog.«
    »Ich komme eben vom Kronrat«, sagt er, glatt wie Sargseide. »Ich bedauere, Euch mitteilen zu müssen, dass in der Stadt die Pest ausgebrochen ist.«
    Mit einem leichten Stirnrunzeln versucht sie seinen Worten zu folgen. Dies ist nicht, was sie erwartet hatte. Unter den Hofdamen entsteht eine Bewegung: Wir alle wissen genau, dass in der Stadt nicht die Pest ausgebrochen ist.
    »Dem König liegt Eure Sicherheit am Herzen«, sagt der Herzog langsam und deutlich. »Er ordnet an, dass Ihr nach Schloss Richmond umsiedelt.«
    Ich fühle sie schwanken. »Er kommt auch?«
    »Nein.«
    Also werden alle erfahren, dass sie fortgeschickt wurde. Wenn tatsächlich in der Stadt die Pest umginge, wäre König Heinrich der Letzte, der fröhlich flussauf und

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