Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
heller wird und der goldene Schein der Sommersonne erglüht, bleibe ich am Fenster sitzen. Sie bringen mir einen Becher Dünnbier und eine Scheibe Brot mit Butter. Ich beobachte den Fluss, warte auf das Flattern der Standarte und das stetige Auf und Ab der Ruder, auf die Ankunft der königlichen Barke, die mich zum Tower bringen wird. Sobald ich einen Trommelschlag vernehme, der die Ruderer im Takt hält, gibt mein Herz Antwort: ein Echo, das mir in den Ohren dröhnt ..., und ich kann nur denken: Bald kommen sie, sie kommen heute, um mich zu holen.
Doch als es so weit ist, am frühen Nachmittag, da kommt seltsamerweise kein Trupp, sondern nur ein Mann in einer kleinen Jolle. Es ist Richard Beard, der mich bei einem Spaziergang in meinem Privatgarten antrifft, wo ich zwischen den Rosenstöcken wandele und meinen Kopf zu den Blüten neige, ihren Duft aber nicht zu riechen vermag. Aus der Entfernung muss ich auf ihn wie eine glückliche Frau wirken, eine junge Königin in ihrem Rosengarten. Erst als er näher kommt, kann er sehen, wie blass ich bin.
»Euer Gnaden«, sagt er und verneigt sich tief, wie vor einer Königin.
Ich nicke.
»Ich bringe Euch einen Brief vom König.« Er reicht mir ein Schreiben. Ich nehme es, breche jedoch das Siegel nicht. »Was steht darin?«, frage ich.
Er tut gar nicht erst so, als wäre es eine Privatangelegenheit. »Darin steht, dass der König nach Monaten des Zweifels zu dem Entschluss gekommen ist, seine Ehe mit Euch zu prüfen. Er fürchtet, dass sie nicht gültig ist, weil Ihr bereits durch einen bestehenden Kontrakt gebunden wart. Deshalb ist eine Untersuchung anberaumt worden.«
»Er sagt, wir sind nicht verheiratet?«, frage ich.
»Er fürchtet, dass Ihr nie verheiratet wart«, korrigiert er mich.
Ich schüttele den Kopf. »Ich verstehe nicht«, sage ich blöde. »Ich verstehe nicht.«
Und sie kommen alle: Der halbe Kronrat erscheint samt Gefolge und Dienerschaft. Sie kommen, um mir zu sagen, dass ich meine Einwilligung zu der Untersuchung geben muss. Das werde ich nicht tun. Ich gebe meine Zustimmung nicht. Sie sollen über Nacht in Richmond bleiben. Ich werde nicht mit ihnen dinieren, ich werde nicht zustimmen. Niemals.
Am Morgen wird mir mitgeteilt, dass sie drei meiner Hofdamen vor den Untersuchungsausschuss zitieren werden. Sie weigern sich, mir zu sagen, welche der Damen gemeint sind und was sie aussagen sollen. Ich bitte um Kopien der Dokumente, die dem Ausschuss als Beweise vorgelegt werden sollen, aber sie weigern sich, mir irgendein Schriftstück zu zeigen. Dr. Harst beschwert sich über diese Behandlung und schreibt in diesem Sinne an meinen Bruder, aber wir beide wissen, dass dieser Brief erst eintreffen wird, wenn es zu spät ist, denn immer noch sind die Häfen geschlossen, es herrscht eine Nachrichtensperre. Wir sind ganz auf uns gestellt. Dr. Harst erzählt mir, dass es vor Anne Boleyns Prozess eine Untersuchung über ihr Betragen gegeben hatte. Eine Untersuchung: genau wie bei mir. Anne Boleyns Hofdamen wurden befragt, so wie meine Hofdamen befragt werden sollen. Dann wurde das Urteil gesprochen, und der König nahm innerhalb eines Monats Jane Seymour, Annes Ehrenjungfer, zur Frau. Für mich wird es nicht einmal eine Verhandlung geben, das Urteil wird mit der Unterschrift des Königs besiegelt werden. Muss ich wirklich sterben, damit der König die kleine Kitty Howard heiraten kann? Muss ich sterben, damit dieser alte Mann ein Mädchen heiraten kann, das er für den Preis eines Kleides ins Bett bekäme?
J ANE B OLEYN , W ESTMINSTER , 7. J ULI 1540
Wir werden mit der königlichen Barke von Richmond in die Stadt gebracht, der König spart an nichts, um es uns behaglich zu machen. Wir, das sind Lady Rutland, Catherine Edgecombe und ich: drei kleine Verräterinnen, die nun ihre Pflicht erfüllen werden. Als Geleitschutz fährt Lord Southampton mit, der wohl wieder Boden beim König gutmachen muss, da er es war, der Anna von Kleve in England willkommen hieß und sie hübsch und heiter und königlich nannte. Bei ihm sind Lord Audley und der Herzog von Suffolk, beide begierig, ihre Rollen zu spielen und sich anzubiedern. Auch sie werden vor dem Ausschuss gegen die Königin aussagen.
Catherine Edgecombe ist nervös, sie weiß nicht, was sie aussagen soll, sie fürchtet das Kreuzverhör der Geistlichen, in dem sie verleitet werden könnte, das Falsche zu sagen ... Ja, wenn sie ihr zu arg zusetzen, könnte ihr gar die Wahrheit entschlüpfen, und das
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