Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
leiblicher Sohn: Zuerst wird er anerkannt und zum Prinzen von Wales ernannt, und bald darauf stirbt er an einer geheimnisvollen Krankheit, und meinem Gebieter, dem Herzog, wird aufgetragen, ihn um Mitternacht heimlich zu begraben. Seine Porträts werden vernichtet, und selbst sein Name darf nicht mehr genannt werden. Welcher Mann könnte es wortlos ertragen, seinen Sohn sterben zu sehen? Welcher Vater bringt es übers Herz, seinen beiden kleinen Mädchen zu sagen, dass sie nicht seine Kinder sind? Welcher Mann kann seine Freunde und seine Ehefrau aufs Schafott schicken und tanzen, wenn die Nachricht ihres Todes eintrifft? Was ist das für ein Mann, dem wir solche Macht über unsere Leben und unsere Seelen eingeräumt haben?
Und schlimmer noch: brave Priester, an ihren eigenen Kirchenbalken aufgehängt; nachdenkliche Männer, die niedergeschlagen, aber mit Gedanken ans Himmelreich auf den Scheiterhaufen stiegen; Aufstände im Norden und im Osten, und der König schwor, dass die Rebellen ihm vertrauen könnten, dass er sich von ihnen Rat erteilen lassen würde ... Und dann der furchtbare Verrat, der die vertrauensseligen Narren zu Tausenden aufs Schafott brachte, und mein Gebieter, der Herzog von Norfolk, wurde zum Schlächter seiner Landsleute. Dieser König hat bereits Tausende hinrichten lassen, und dieser König fährt fort, Zehntausende seiner Untertanen zu morden. Im Ausland heißt es, er sei wahnsinnig geworden und warte nur darauf, dass wir rebellieren. Aber wie ängstliche Hunde in der Bärengrube wagen wir nur, ihn scharf zu beobachten und ihn anzuknurren.
Er ist nun wieder in besserer Stimmung, auch wenn sich die Ankunft seiner neuen Königin verzögert. Auch ich warte noch auf die offizielle Vorstellung, aber man hat mir versichert, dass er die neuen Hofdamen freundlich empfangen wird. Er ist beim Dinner, als ich mich in seine Gemächer schleiche, um das Porträt der neuen Königin zu betrachten, das im Audienzzimmer ausgestellt ist. Das Zimmer ist leer, ihr Bildnis steht auf einer Staffelei und wird von großen viereckigen Kerzen beleuchtet. Sie sieht nett aus, das muss man zugestehen. Sie hat ein ehrliches Gesicht und hübsche Augen, die einen gerade ansehen. Ich verstehe sofort, was er an ihr mag: Sie ist nicht verlockend, nicht sinnlich. Sie besitzt weder Raffinesse noch Gewandtheit. Sie wirkt jünger als vierundzwanzig. Ich behaupte sogar, dass sie meinem kritischen Blick ein wenig simpel erscheint. Sie wird keine Königin sein wie Anne, so viel ist sicher. Dies ist keine Frau, die Hof und Land auf den Kopf stellen wird. Dies ist keine Frau, welche die Männer vor Verlangen halb wahnsinnig macht und dann noch verlangt, dass sie ihre Gefühle in Verse gießen. Und natürlich ist sie genau das, was er jetzt haben will - das genaue Gegenteil von Anne.
Anne hat den König für neue Herausforderungen verdorben, wahrscheinlich für immer. Sie hat Feuer an seinem Hof gelegt, und am Ende ist alles in Flammen aufgegangen. Er ist wie ein Mann, dessen Brauen angesengt wurden, und ich bin eine Frau, deren Haus in Asche liegt. Niemals wieder wird er eine begehrenswerte Geliebte zur Frau nehmen wollen. Und ich will niemals wieder Rauch riechen. Er will eine Frau an seiner Seite, die so zuverlässig ist wie ein Ochse vor dem Pflug, damit er Flirt und Gefahr und Verlockung außerhalb der Ehe suchen kann.
»Ein hübsches Bild«, sagt eine Männerstimme hinter mir, und ich drehe mich um und sehe in das lange, gelbe Gesicht meines Onkels Thomas Howard, des Herzogs von Norfolk, des zweitmächtigsten Mannes im Königreich.
Ich sinke in einen tiefen Knicks. »In der Tat, Sir.«
Er nickt, seine dunklen Augen verraten keinerlei Regung. »Glaubt Ihr, es ist gut getroffen?«
»Wir werden es bald erfahren, Mylord.«
»Ihr könntet mir danken, dass ich Euch die Stellung bei ihr besorgt habe«, bemerkt er beiläufig. »Ich habe mich sehr bemüht. Es war mir ein besonderes Anliegen.«
»Ich danke Euch vielmals. Ich stehe mit meinem Leben in Eurer Schuld. Ihr wisst, Ihr braucht mir nur zu befehlen.«
Er nickt. Er hat mir nie Liebenswürdigkeit bezeugt, außer zu der einen, ganz besonderen Gelegenheit: als er mich aus dem Feuer rettete, das den Hof niederbrannte. Er ist ein barscher Mann, der nicht viele Worte macht. Es heißt, er habe nur eine Frau wirklich geliebt, und zwar Katharina von Aragon ... Dennoch schaute er untätig zu, wie sie in Armut, Krankheit und letztlich in den Tod getrieben wurde, weil er seine Nichte an
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