Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
für andere aufgrund seines Temperaments. Seid gewarnt!«
Ich bin schockiert, doch bemüht, es nicht zu zeigen, als ich zum Tisch der königlichen Hofdamen gehe. Sie machen Platz für mich und begrüßen mich mit Namen, viele von ihnen nennen mich Cousine. Ich spüre die Schweinsäugelein des Königs auf mir ruhen und mache einen tiefen Knicks, bevor ich mich auf meinem Schemel niederlasse. Niemand sonst nimmt Notiz von dem Tier, zu dem der Prinz geworden ist. Es ist wie im Märchen: Wir alle sind verzaubert und können nicht sehen, welch ein Wrack unser schöner König geworden ist.
Ich wende mich dem Essen zu und bediene mich von der Gemeinschaftsplatte. Eine Magd gießt mir besten Wein in den Pokal. Ich schaue mich unter den Höflingen um. Dies ist meine Heimat. Ich kenne die meisten dieser Menschen mein Leben lang, und dank der Politik des Herzogs, alle Howards zu seinem Vorteil zu verheiraten, bin ich auch mit den meisten von ihnen verwandt. Wie die meisten von ihnen habe ich zuerst der einen, dann der nächsten Königin gedient. Wie die meisten von ihnen habe ich getreu sämtliche Hauben getragen, die meine Herrin zu tragen beliebte: die Giebelhaube, die französische Haube, die englische Haube. Auch die Glaubensbekenntnisse haben gewechselt, vom papistischen über den reformistischen Glauben bis hin zum englischen Katholizismus. Ich habe auf Spanisch gestottert und auf Französisch geschnattert, und ich habe andachtsvoll geschwiegen und Hemden für die Armen genäht. Es gibt kaum einen Zug an englischen Königinnen, den ich nicht kenne. Und bald schon werden wir die nächste Königin haben. Wir werden ihre Geheimnisse kennenlernen, ihre Hoffnungen und ihre Fehler. Ich werde sie scharf beobachten und Mylord Bericht erstatten. Und vielleicht werde ich es sogar wieder lernen, an diesem Hof glücklich zu sein.
K ATHERINE , N ORFOLK H OUSE , L AMBETH , D EZEMBER 1539
Und was werde ich zu Weihnachten bekommen? Ich weiß schon, dass ich eine gestickte Börse von meiner Freundin Agnes Restwold bekomme, eine handgeschriebene Seite aus einem Gebetbuch von Mary Lascelles (wie nett !) und zwei Taschentücher von meiner Großmutter. So weit, so schäbig. Aber mein liebster Francis wird mir ein Unterkleid aus fein besticktem Leinen schenken, und ich habe ihm eigenhändig - und ich habe Tage dafür gebraucht - eine Armbinde in meinen Lieblingsfarben gewebt. Es freut mich sehr, dass er so verliebt in mich ist, und natürlich liebe ich ihn auch, aber er hat mir noch keinen Ring gekauft, wie er versprochen hatte. Er hält an seinem Vorhaben fest, im nächsten Monat schon nach Irland zu gehen, um sein Glück zu machen, und dann werde ich allein sein, und was für einen Sinn soll das haben?
Der Hof verbringt Weihnachten auf Schloss Greenwich. Ich hatte gehofft, er wäre in Whitehall, dann hätte ich wenigstens hingehen und den König beim Dinner sehen können. Mein Onkel, der Herzog, ist dort, aber er hat uns nicht eingeladen, und meine Großmutter ist auch schon einmal dort gewesen, hat mich aber nicht mitgenommen. Manchmal fürchte ich, dass in meinem Leben gar nichts mehr passieren wird und ich als alte Jungfer im Haus meiner Großmutter sterben werde. An meinem nächsten Geburtstag werde ich schon fünfzehn, und es ist ganz deutlich, dass sich niemand auch nur einen einzigen Gedanken über meine Zukunft gemacht hat. Wer hat sich denn jemals um mich gekümmert? Meine Mutter ist tot, und mein Vater erinnert sich kaum noch an meinen Namen. Es ist so schrecklich traurig. Mary Lumleigh wird nächstes Jahr heiraten. Sie setzen gerade den Ehevertrag auf, und sie bildet sich wer weiß was ein und kommandiert mich herum, als ob ich etwas um sie und ihren pickeligen Verlobten gäbe. Ich würde ihn nicht wollen, selbst wenn er ein Vermögen mitbrächte. Das habe ich ihr auch gesagt, und wir haben uns gestritten, und den Spitzenkragen, den sie mir zu Weihnachten schenken wollte, wird sie nun jemand anderem schenken, aber das ist mir völlig gleich.
Die Königin sollte inzwischen in London sein, aber sie kriecht so langsam voran wie eine Schnecke, und deshalb sind alle meine Hoffnungen auf ihren festlichen Einzug in London und auf eine märchenhafte Hochzeit vergebens. Es ist, als ob das Schicksal selbst am Werk wäre, um mich unglücklich zu machen. Ich bin dem Untergang geweiht. Ich will doch nur einen kleinen Ball! Jeder sollte einem Mädchen von fast fünfzehn Jahren gönnen, dass es wenigstens einmal in seinem Leben
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