Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
tanzen darf!
Natürlich geben auch wir zu Weihnachten einen kleinen Ball, aber das ist etwas ganz anderes. Was für ein Vergnügen ist schon ein Tanz, wo alle dich kennen, weil sie dich das ganze Jahr jeden Tag gesehen haben? Welchen Spaß macht ein Fest, wenn jeder Junge im Saal dir so vertraut ist wie die Wandbehänge? Wo ist der Kitzel, wenn ein Mann dich anschaut, der dein eigener Mann ist und der ohnehin dein Bett teilt, ob du nun verlockend getanzt hast oder nicht? Ich probiere eine besondere Drehung und einen Knicks aus, doch das soll mir schlecht bekommen. Denn niemand sieht es - außer Großmutter, der nichts entgeht, und schon ruft sie mich aus der Reihe der Tänzer zu sich und drückt mein Kinn mit einem Finger hoch und sagt: »Kind, es ist nicht nötig, allen zuzuzwinkern wie ein italienisches Flittchen. Wir sehen dir ohnehin zu.« Damit will sie mir zu verstehen geben, dass ich nicht wie eine elegante junge Dame tanzen soll, sondern wie ein Kind.
Ich knickse und erwidere nichts darauf. Es hat keinen Sinn, mit der Frau Großmutter zu streiten. Wenn ich Widerworte gebe, könnte sie mich unvermittelt aus dem Saal schicken. Ich finde wirklich, dass sie mich sehr schlecht behandelt.
»Was habe ich da über dich und den jungen Master Dereham gehört?«, fragt sie aus heiterem Himmel. »Ich dachte, ich hätte dich schon einmal verwarnt?«
»Ich weiß nicht, was Ihr gehört habt, Großmutter«, erwidere ich schlau.
Doch nicht so schlau, denn sie gibt mir einen Klaps mit ihrem Fächer.
»Vergiss nicht, wer du bist, Katherine Howard«, sagt sie streng. »Wenn dein Onkel Nachricht sendet, dass du in den Dienst der Königin aufgenommen bist, wirst du doch wohl nicht wegen einer flüchtigen Liebelei ablehnen?«
»In den Dienst der Königin?« Ich habe sogleich das Wichtigste herausgehört.
»Vielleicht«, sagt sie, macht mich rasend vor Ungeduld. »Vielleicht braucht sie eine Ehrenjungfrau, ein Mädchen, das die beste Erziehung genossen hat und nicht als schlimmes Flittchen bekannt ist.«
Ich bringe kaum ein Wort heraus, ich bin so verzweifelt. »Großmutter ... ich ...«
»Schon gut«, sagt sie und bedeutet mir, wieder zu den Tänzern zu gehen. Ich ergreife ihren Ärmel und flehe sie an, mir mehr zu sagen, aber sie lacht und schickt mich zum Tanz. Ich weiß, dass sie genau zusieht, deshalb hüpfe ich herum wie eine Holzpuppe. Ich mache die Schritte so exakt und benehme mich so züchtig, dass man meinen könnte, ich hätte selbst eine Krone auf dem Kopf. Ich tanze wie eine Nonne, ich tanze wie eine Vestalin, und als ich aufschaue, um zu sehen, ob sie von meiner Bescheidenheit beeindruckt ist, lacht sie mich aus.
Und am Abend, als Francis zu mir kommen will, trete ich ihm auf der Schwelle des Mädchenschlafsaals entgegen. »Du kannst nicht hinein«, sage ich unverblümt. »Mylady, meine Großmutter, weiß Bescheid über uns. Sie hat mich verwarnt, es geht um meinen guten Ruf.«
Er sieht mich erschrocken an. »Aber Liebes ...«
»Ich kann es nicht riskieren«, sage ich. »Sie weiß viel mehr, als wir geglaubt haben. Gott weiß, was sie gehört hat oder wer es ihr erzählt hat.«
»Wir wollten einander nicht verleugnen«, drängt er.
»Nein«, sage ich unsicher.
»Wenn sie fragt, musst du ihr sagen, dass wir im Angesicht Gottes verheiratet sind.«
»Ja, aber ...«
»Und ich werde nun zu dir kommen - als dein Ehemann.«
»Das geht nicht.« Nichts auf dieser Welt wird mich davon abhalten, Ehrenjungfrau bei der neuen Königin zu werden. Nicht einmal meine unsterbliche Liebe zu Francis.
Er legt einen Arm um meine Taille und küsst meinen Nacken. »Ich gehe in wenigen Tagen nach Irland«, sagt er leise. »Du wirst mich doch nicht mit gebrochenem Herzen fortschicken.«
Ich zögere. Es wäre wirklich traurig, wenn sein Herz bräche, aber ich werde Ehrenjungfrau bei der neuen Königin, etwas Wichtigeres gibt es nicht.
»Ich will nicht, dass dein Herz bricht«, sage ich. »Aber ich muss eine Stellung im Haushalt der Königin annehmen, und wer weiß, was dort alles geschehen wird?«
Abrupt lässt er mich los. »Ach, du meinst wohl, du gehst an den Hof und kannst tändeln, wie du möchtest?«, fragt er böse. »Mit einem mächtigen Lord? Vielleicht mit einem deiner adeligen Cousins? Mit einem Culpepper oder einem Mowbray oder einem Neville?«
»Ich weiß es nicht«, erwidere ich. Es ist wirklich erstaunlich, wie viel Würde ich an den Tag lege. Man könnte mich glatt für Großmutter halten. »Ich kann
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