Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Es ist zu dumm - aber ich ertappe mich dabei, dass ich die Luft anhalte wie ein junges Mädchen. Wenn ich in Bälde heiraten würde, dann wäre es nicht unmöglich, dass ich noch ein Kind bekäme. Wenn ich einen mächtigen Mann heiraten würde, dann könnte ich den Grundstein für eine große Familie legen, ein großes Haus bauen und ein Vermögen für meine eigenen Kinder anhäufen. Ich könnte es besser machen als die Boleyns. Ich könnte meine eigene Familie bei Hofe aufsteigen sehen. Ich könnte ein Vermögen hinterlassen, und Schmach und Schande meiner ersten Ehe wären durch den Glanz der zweiten getilgt.
»Geduld!«, beschwichtigt der Herzog. »Lasst uns erst dieses Geschäft mit Katherine zum Abschluss bringen.«
K ATHERINE , H AMPTON C OURT , A PRIL 1541
Es ist Frühling. Nie zuvor habe ich eine Jahreszeit so genau wahrgenommen, aber in diesem Jahr scheint die Sonne so hell und zwitschern die Vögel so laut, dass ich immer schon im Morgengrauen erwache. Jeder Zoll meiner Haut fühlt sich an wie Seide. Meine Lippen sind feucht, und mein Herz klopft vor Lust. Ich möchte lachen ohne Grund, ich möchte meinen Hofdamen kleine Geschenke machen, damit sie glücklich sind. Ich möchte tanzen, ich möchte die langen Alleen im Park bis zum Ende laufen und mich im Kreise drehen, bis ich ins Gras falle und den zarten Duft der Primeln rieche. Ich möchte den ganzen Tag reiten und die ganze Nacht tanzen und das Vermögen des Königs verspielen. Ich habe einen gewaltigen Appetit; ich probiere alle Gerichte, die am königlichen Tisch serviert werden, und dann schicke ich die besten, die allerbesten hierhin und dorthin - aber niemals an seinen Tisch.
Ich habe ein Geheimnis, ein so tolles Geheimnis, dass es mich manchmal atemlos macht, weil es mir so sehr auf der Zunge brennt und hinaus will. An anderen Tagen ist es wie ein Kitzeln, das in mir die Lachlust weckt. Jeden Tag und jede Nacht lebt es in mir wie ein warmes, beharrliches Pulsieren der Lust.
Nur ein Mensch kennt dieses Geheimnis. Er schaut mich während der Messe an, wenn ich vom Balkon der königlichen Loge hinabspähe und ihn dort unten sitzen sehe. Langsam, ganz langsam wendet er den Kopf, wenn er meinen Blick spürt. Dann schaut er auf und schenkt mir dieses Lächeln, das in seinen dunklen Augen beginnt und zu seinem so wunderschön geschwungenen Mund wandert ..., und dann zwinkert er mir kaum wahrnehmbar zu. Denn er kennt mein Geheimnis.
Wenn wir auf die Jagd gehen, reitet er an meiner Seite. Seine bloße Hand streift meinen Handschuh, und mir ist, als würde ich bei seiner Berührung verbrennen. In solchen Momenten wage ich nicht, ihn anzuschauen. Es ist nur eine sanfte Berührung, die mir sagen soll, dass er das Geheimnis kennt, er auch.
Und wenn wir beim Tanzen einander die Hand reichen und uns tief in die Augen schauen sollen, wie es der Tanz erfordert, dann tun wir das. Doch dann schlagen wir rasch die Augen nieder oder tun unbeteiligt. Denn wir wagen es nicht, einander zu nahe zu kommen. Ich wage es nicht, mein Gesicht zu nahe an das seine zu bringen. Ich wage es nicht, seine dunklen Augen anzuschauen, seinen schönen Mund, sein verlockendes Lächeln.
Wenn er beim Abschiednehmen meine Hand küsst, dann streift er meine Finger nicht mit den Lippen, sondern nur mit seinem Atem. Das ist ein höchst ungewöhnliches, überwältigendes Gefühl. Ich spüre nur die Wärme seines Atems. Und er fühlt gewiss, dass sich meine Finger in seinem Griff wiegen wie eine Blumenwiese im sanften Wind.
Und was ist dieses Geheimnis, das mich in aller Frühe weckt und mich zitternd wie ein Hase auf das nächste Mal warten lässt, wenn sein warmer Atem meine Finger streift? Es ist so ein großes Geheimnis, dass ich es nicht einmal vor mir selbst ausspreche. Es ist ein Geheimnis. Mein Geheimnis. Ganz fest drücke ich es an mich in tiefer Nacht, wenn Heinrich endlich schläft und ich ein Plätzchen im Bett gefunden habe, das nicht von seinem plumpen Leib erhitzt oder von seiner Wunde verpestet wird, und dann denke ich diese Worte in meinem Kopf: »Ich habe ein Geheimnis.«
Ich rücke mein Kopfkissen zurecht, ich streiche eine Locke aus meinem Gesicht, ich schmiege meine Wange ans Kissen, gleich werde ich einschlafen ... »Ich habe ein Geheimnis.«
A NNA VON K LEVE , R ICHMOND -P ALAST , M AI 1541
Mein Botschafter Dr. Harst bringt mir die furchtbarste, die erbärmlichste Nachricht, die ich jemals in meinem Leben gehört habe. Als er es mir erzählte,
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