Das Erbe Der Loge: Roman
neue Strohmänner dafür herhalten mussten, war für mich als lokal tätigen Journalisten zweitrangig. Mich beschäftigte die Diskrepanz zwischen den sieben Tarotkarten.
Die erste hatte ich unter dem Wagen des Landtagsabgeordneten gefunden. Die zweite hatte Kögel beim Baulöwen Müller entdeckt, die dritte hatte der Steinmetz Martin bei sich gehabt. Die vierte war mir mit dem toten Vogel zugestellt worden. Die fünfte hatte der Kater im Haus des Professors am Halsband. Die sechste hatte der Professor selbst dabeigehabt, und die siebte hatte Kögel bei dem verunglückten Pferdezüchter gefunden, über den ich allerdings weiter nichts wusste.
Nach Aussage von Nummer IX letzte Nacht waren sechs weitere Mitglieder in den USA, England, Frankreich und Südafrika umgebracht worden. Zusammen elf Tote. Der Name GOLDRAUSCH hatte aber nur zehn Buchstaben. Daraus schloss ich, dass der Steinmetz nur zur falschen Zeit lange Finger an fremdem Eigentum gemacht hatte und deshalb hatte sterben müssen. Er hatte nichts mit der Loge zu tun.
Da die umgekommenen ausländischen Mitglieder, ebenfalls laut Aussage von IX, keine Tarotkarten bei sich hatten, hieß das, dass zur Bildung des Namens »Goldrausch« noch drei Karten fehlten.
Dass der Professor sich die Grabplatte von Goldrausch dem Älteren als Platz zum Sterben ausgesucht hatte, war ein glücklicher Hinweis für Kögel und mich gewesen, schneller hinter die Botschaft des oder der immer noch Unbekannten zu kommen. Das bedeutete aber nicht, dass die letzten drei Karten nicht doch noch ausgespielt werden konnten.
Zweiunddreißig Stühle, zweiunddreißig Ratsmitglieder. Davon waren zehn tot, also noch zweiundzwanzig, die diese Nacht anwesend gewesen waren.
Die Berichte über die Stärke des Ausbildungsbataillons 108/35, das 1936 mit der Drachenfels nach Palästina aufgebrochen war, schwankten zwischen einunddreißig und dreiunddreißig Mitgliedern. Es fehlte demnach tatsächlich mindestens eine Person, wenn nicht sogar drei. Denn ob der Fotograf nun mit dabei oder hinter der Kamera gewesen war, ob dieser dubiose Offizier, von dem Goldrausch kurz vor seinem Tod gesprochen hatte, dazugezählt oder abgezogen werden musste, war die Grauzone. Waren ihnen die fehlenden Todeskarten zugedacht? Von wem, wer waren sie und vor allem warum? Oder war unter deren Nachkommen der Mörder zu suchen?
So kam ich nicht weiter. Hoffentlich ergaben die Fotos einen Hinweis.
Kitty verließ bei Olpe-Nord die Autobahn und folgte der Bundesstraße Richtung Westen, um kurz darauf in eine schmale Straße, eine Art besseren Feldweg, abzubiegen.
Viel Landschaft umgab uns. Zu viel für meinen Geschmack, der das Stadtleben bevorzugte.
»Wohin entführst du mich?«
Kitty sagte nichts. Sie hatte nur dieses schelmische Lächeln um die Augen, das ich noch aus unserer Schulzeit kannte. Bei Tageslicht und im Profil war sie gar nicht so hässlich, und wenn sie sich zu einem anderen Make-up als dem einer Puffmutter durchrang, konnte noch etwas aus ihr werden.
Der Bentley glitt an einem Ortsschild »Halbhusten«, vorbei. Ein seltsamer Name, der bei mir die Assoziation eines Heilortes für Tbc-Kranke auslöste. Dahinter zogen sich nur ein paar Häuser die Straße entlang. Es blieb bei viel Nichts in dieser Gegend.
Kitty steuerte den Wagen auf den Hof eines alten, aber äußerlich sehr gepflegten Bauernhofes. Fachwerk mit kleinen Fenstern und eine direkt ans Haupthaus angebaute Scheune. Das Tor stand weit auf und gab den Blick auf allerlei antikes Ackergerät, ein Motorrad unter einer Schutzhülle und einen japanischen Geländewagen frei.
»Wir sind da«, lächelte Kitty und ging zum Jeep, legte die Hand auf die Motorhaube und nickte zufrieden. »Er ist noch warm. Dann ist Mutter auch gerade erst gekommen und noch wach. Eine gute Chance auf ein Frühstück.«
Ihre Mutter lebte noch und kam um sechs Uhr morgens nach Hause? Ich rechnete kurz hoch. Kitty war mein Jahrgang, dann musste die alte Dame über achtzig sein.
»Deine Mutter fährt noch Auto?«
»Mehr noch«, lachte sie das erste Mal wirklich herzlich. »Sie hat im Nachbarort eine alte Kneipe gekauft, in der sich einmal in der Woche eine geschlossene Gesellschaft von Swingern trifft. Da macht sie die Bewirtung und gibt Ratschläge. Nebenbei macht sie noch die Buchhaltung für alle meine Betriebe. Komm, zieh den Kopf ein. Sie wird sich an dich erinnern.«
Ich musste mich bücken, um durch die niedrige Haustür zu kommen. Der erste Eindruck des
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