Das Erbe Der Loge: Roman
euch wird es in Palästina nicht viel besser gehen. Man hört, dass Anwerber durch die Auffanglager ziehen, um jüdische Flüchtlinge ins Gelobte Land zu bringen.
Die Suche nach unserem Sohn David habe ich noch nicht aufgegeben. Ich habe seine Beschreibung dem Suchdienst des Roten Kreuzes gegeben.
Aber nun zum eigentlichen Grund meines Briefes: Vor genau zwei Wochen habe ich Dir einen weiteren Sohn geschenkt, der das Ergebnis Deines überraschenden Besuches vom Dezember 1945 hier in Köln ist. Den Vater habe ich als unbekannt angegeben, aber ihm, Deine Zustimmung voraussetzend, den Namen Peter-Maria gegeben. Er wird groß wie sein Vater, nur etwas untergewichtig ist er. Aber das liegt an unserer mangelhaften Versorgung. Ansonsten hat er alle Merkmale von uns beiden und schreit bereits wie am Spieß.
Das wollte ich Dich wissen lassen und verbleibe in ewiger Liebe zu Dir
Deine Judith
Ein Brief, der wohl zu jener Zeit millionenfach geschrieben worden war. Aus ihm sprach in wenigen Worten der ganze Schmerz einer zwangsgeschiedenen Frau und Mutter zweier Söhne, die nach dem Krieg unverhofft ihren verschollen geglaubten Mann wieder getroffen hatte, um festzustellen, dass er ihr endgültig nicht mehr gehörte. Und ich hieß Peter-Maria, meine Mutter Judith, und das Geburtsdatum war genau meines.
Verstört faltete ich das Papier zusammen und bat Hannah um eine Zigarette.
Die tippte Joshua auf die Schulter. »Halt mal an. Ich glaube, unser Onkel braucht frische Luft.«
»Seit wann weißt du das?«, quälte ich hervor, nachdem Joshua einen Rastplatz angesteuert und Hannah mich aus einem Flachmann mit einem großen Schluck Whisky versorgt hatte.
Sie setzte sich zu mir auf die Bank und nahm meine Hand. »Seitdem ich den Nachlass meines Großvaters geöffnet habe. Ich wollte es dir eigentlich viel später sagen, aber die Situation erforderte, dass ich es jetzt loswerden musste. Du solltest dich freuen, jetzt eine wirkliche Identität zu haben.«
Freuen? Worüber?
Plötzlich war ich nicht mehr ein unbeteiligter Journalist, der einfach so aus der Distanz berichten konnte und dann zur nächsten Story überging. Ich war als Familienangehöriger und Mitwisser eingebunden. Egal was ich auch schrieb oder jemals aussagen musste, ich würde befangen sein. Man hatte mich geschickt zum Mittäter gemacht.
»Was wisst ihr über diesen David, meinen Bruder?«
Hannah schüttelte den Kopf und trat eine Zigarette aus. »Nichts. Wenn er eurer Mutter weggenommen worden ist, dann hat er keine ursprüngliche Identität mehr, der man nachgehen könnte.«
Warum mir gerade jetzt ein Gedanken hochkam, konnte ich nur mit dem unergründlichen Reich des Unterbewusstseins erklären. »Was ist, wenn du von deinem Stiefonkel ein Kind bekommst?«
Hannah zog die Stirn in Falten und sah mich von der Seite an. Dann schmunzelte sie.
»Ein verlockender Gedanke, die Reinkarnation meines Großvaters in mir zu tragen. Das werde ich mir noch einmal durch den Kopf gehen lassen. In einem Monat weiß ich mehr.«
Lachend zog sie mich von der Bank hoch und drückte mir einen Kuss auf die Wange.
»Komm, Stiefonkel, wir haben noch einiges zu tun.«
Erbanlagen verändert, schoss mir Odilo durch den Kopf. Ach nein, das war ja vor dem Kasten, zog mein Zeitgedächtnis gerade noch rechtzeitig die Rettungsleine, bevor sich Panik in mir breitmachen konnte.
»Kannst du nicht mal, wenn ich schon hier bin, mit deiner Detektivspielerei aufhören?«, wies Hannah Joshua zurecht. Der hatte sich während unseres Gespräches mit seinem Navigationssystem beschäftigt.
Der Gemaßregelte grunzte etwas auf Iwvrith und wechselte den Ausschnitt auf dem Display.
Hannah zuckte mit den Schultern.
»Er findet Sam nicht. Sam trägt an seiner Uhr einen Sender, aber der antwortet nicht.«
Sie sagte das, als sei es das Belangloseste der Welt, dass mal eben ein Mensch verloren geht.
»Ist das beunruhigend?«, versuchte ich, nicht ganz so geistesabwesend zu wirken, wie ich es tatsächlich war. Meine Gedanken kreisten und flatterten, schwangen sich auf, um gleich wieder abzustürzen.
»Joshua ist darauf getrimmt, Probleme zu lösen«, lächelte sie und klopfte ihrem Bruder auf die Schulter. »Stimmt's?«
Es klang höhnisch, als nehme sie die Tätigkeit des Mossad nicht sonderlich ernst. Nahm sie überhaupt etwas außer sich ernst?
Meine Gedanken kreisten weiter.
Was war mein Vater für ein Mensch gewesen? Was hatte er mir an Erbinformationen überlassen, und warum
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