Das Erbe Der Loge: Roman
hat dabei nachgeholfen.«
Joshua blies den Kaugummi auf, schaffte es aber dieses Mal nicht, ihn wieder einzufangen. Pitsch! machte es, und die Reste verteilten sich um seinen Mund.
Hannah beugte sich mit der Zigarette im Mundwinkel zwischen die Vordersitze und sah ihren Bruder scharf an.
»Was soll das heißen? Hattest du etwa den Auftrag?«
Der klaubte sich wie ein Clown nach dem Auftritt die Gummireste aus dem Gesicht und zuckte mit den Schultern. »Der Zentrale wurde es zu heiß. Der Kerl hat genug Unheil angerichtet. Was sollte es? Der hätte sonst vor lauter Bosheit noch zwanzig Jahre gelebt.«
»Ich fasse es nicht«, stöhnte Hannah und ließ sich in den Sitz fallen, um daraus gleich wieder wie eine gespannte Feder nach vorne zu schießen.
»Ist es, verdammt noch mal, nicht einmal unter Geschwistern möglich, sich abzustimmen? Der Kerl war meine letzte Möglichkeit, die Wahrheit zu erfahren. Und du Trampeltier lässt ihn umlegen. Ich krieg die Krise und deine Vorgesetzten ein Verfahren vom Wirtschaftsministerium an den Hals, dass euch miesen Befehlsempfängern das Wasser im Arsch kocht.«
Joshua zuckte wieder mit den Schultern und startete den Motor.
»Befehl ist Befehl«, meinte er nur und fuhr los.
Ich hatte in meiner langen Tätigkeit schon einiges erlebt. Mörder interviewt, mit deren Familien und den Hinterbliebenen gesprochen, versucht, die Motive von Kinderschändern zu verstehen, aber das ging über mein Fassungsvermögen und meine Nervenkraft.
Da stritten sich die Schwester und ihr Bruder ganz offen in meinem Beisein und ohne eine Sprache zu benutzen, die ich nicht hätte verstehen können, darüber, warum ein ohnehin schon fast toter Mensch mutwillig ins Jenseits befördert worden war.
Meine Herzfrequenz steigerte sich, bis ich meinen eigenen Pulsschlag hören konnte, meine Lungen begannen nach Luft zu ringen, und der Schweiß trat mir aus allen Poren. Ich saß im Auto eines Killerpärchens, hatte das Geständnis eines Mörders und konnte nichts damit anfangen. Im Gegenteil. Ich war nun zu einem gefährlichen Zeugen geworden. Eine Panikattacke drohte in mir aufzusteigen, und mein Gehirn überschlug sich bei der Suche nach einem Ausweg.
Angriff!, war das Einzige, was mir dazu einfiel.
»Kann mich mal jemand aufklären, was hier vor sich geht?«, versuchte ich den Kloß im Hals durch Räuspern zu verscheuchen. Meine Stimme klang trotzdem jämmerlich.
Hannah hatte sich wieder zurückgelehnt und nagte auf ihrer Unterlippe herum.
»Du bist soeben unbeabsichtigt Zeuge eines Mordgeständnisses geworden. Du bist dir im Klaren darüber, was das für dich bedeutet? Die Mitglieder des Geheimdienstes sind allesamt Kinder, die nicht erwachsen werden wollen. Und Kinder sind grausam. Sie kennen nur das Recht des Stärkeren. Ein Unrechtsbewusstsein haben sie nicht. Und die israelischen Kinder schon dreimal nicht, da sie sich auf das Alte Testament berufen. Auge um Auge, Zahn um Zahn.«
Sie zündete sich wieder eine Zigarette an, und Joshua trieb den Drehzahlmesser bis zum Anschlag.
»Hier, lies das«, kramte Hannah einen Briefumschlag aus der Tasche.
»Was ist das?« Ich wendete das Kuvert, das noch eine Briefmarke der Reichspost trug und als Adressaten einen Joshua Krodensky in Tel Aviv auswies. Ein Absender war nicht vermerkt, aber ein schwach erkennbarer Stempel auf der Vorderseite vom April 1947 deutete daraufhin, dass der Brief von den englischen Behörden zensiert und freigegeben worden war.
»Deine Lebensversicherung«, kam es in einem blauen Tabakschwall vom Rücksitz.
Ich öffnete das mit einem scharfen Gegenstand geöffnete Kuvert.
Es enthielt ein sorgsam gefaltetes, vergilbtes Blatt, das mit steiler Sütterlinhandschrift beschrieben war.
Köln, den 12. September 1946
Geliebter Joshua!
Ich weiß, Du hast es mir verboten, Dir zu schreiben, und ich hoffe auch, dass Deine jetzige Familie Dir deswegen keine Probleme bereiten wird.
Ich hatte gehofft, dass nach dem Krieg alles besser wird, aber das ist bisher nicht eingetreten. In unserem ehemaligen Haus haben die Engländer eine Kommandantur eingerichtet, und ich lebe jetzt bei Deiner ehemaligen Sekretärin, die ihren Mann im Krieg verloren hat.
Die Lebensmittelbeschaffung ist eine Katastrophe. Wir müssen teilweise mit dem Fahrrad bis ins Bergische Land, um unser Hab und Gut gegen Kartoffeln, Gemüse und Milchprodukte einzutauschen. Es ist demütigend, was aus diesem Volk geworden ist. Aber ich will mich nicht beklagen,
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