Das Erbe Der Nibelungen
die Finger des Erben von Xanten, die sich um Nothungs Griff schlossen, stolz und entschieden.
Nun verblassten Sigfinn und Brynja, ihre Gestalten von
der Zeit überholt, ihr Schicksal erfüllt. Auch der Amboss waberte träge in die Dunkelheit.
»Du hättest ihnen das Amulett nicht lassen sollen«, sagte Regin. »Vielleicht brauchen wir es noch.«
»Wozu?«, fragte Brunhilde. »Der Pakt der Nibelungen mit den alten Göttern ist gescheitert. Du kannst sie hören, müde und niedergeschlagen. Das Amulett ist nun nicht mehr als ein Amulett, eitles Geschmeide für eitle Gemüter.«
»Dann sollte ich wohl gehen«, murmelte Regin mit einem Schulterzucken. »Zu meinen Brüdern. Glücklich werden sie nicht sein. Aber wann waren sie das jemals?«
Er wandte sich um, aber Brunhilde war noch nicht fertig mit ihm. »Schmied Regin, auf ein Wort.«
Der kleine Mann hatte keine Eile, zu den Seinen zurückzukehren, und er drehte sich ihr wieder zu. »Brunhilde?«
»Du sagtest vor nicht langer Zeit, wir hätten Freunde sein können«, sprach die Seherin mit den leeren Augen. »Unserer Liebe zu Siegfried wegen und der Zuneigung zu den Menschen.«
»Vielleicht nicht Freunde«, wiegelte Regin ab, »aber …«
»Freunde«, widersprach Brunhilde. »Ich lehnte den Gedanken ab, denn wo ich bin, ist kein Nibelunge willkommen. Doch wenn etwas zu lernen ist, dann dies: an den Taten werden wahre Freunde gemessen. Und an den Taten gemessen biete ich dir meine Hand.«
Es freute das Herz der alten Kreatur, und so nahm er gerührt die Hand. »Freunde. Wer hätte es gedacht?«
»Großes haben wir heute getan, und nun ist es an der Zeit …«
Sie gingen getrennte Wege in die Dunkelheit.
17
Das alte Jahrhundert, neu geschaffen
Sigfinn erwachte müde aus traumlosem Schlaf. Sein Rücken schmerzte, und die Luft, die er atmete, roch abgestanden. Seltsam schwer war sein Kopf und zähflüssig sein Blut. Er sah den Morgen, und sofort brachte es Leichtigkeit in seine Gedanken.
Sonnenlicht fiel strahlend in sein Gemach, wie eine Fanfare der Glückseligkeit und mit allen Farben gesättigt. Als er die rechte Hand hob, um sich den Kopf zu kratzen, konnte er Blüten riechen und Vögel hören.
Leben. Es war so viel Leben!
Er sprang aus dem Bett und bereute es sogleich - sein Brustkorb schmerzte von den Ereignissen der letzten Tage, vom törichten Fischfang und Brynjas nur knapp verhinderten Absturz an der Klippe. Im polierten Silberrund an der Wand sah er sein Gesicht und fuhr sich mit der Hand über das Kinn. Mehr Bartwuchs, als er erwartet hatte. Es war ihm recht.
Als er in den Gang hinaustrat, überfiel ihn kurz ein beklemmendes Gefühl, eine unerklärliche Einsamkeit, die jedoch schnell verflog, als ihm die beiden Soldaten
zunickten, deren Aufgabe es war, seinen Schlaf zu bewachen.
Er hatte Hunger. Einen Hunger wie lange nicht mehr. Ungekämmt und ungewaschen wie er war, trieb es ihn in den großen Speisesaal, in dem seine Eltern soeben ihr frühes Mahl beendeten.
»Der letzte Hahn, der den Morgen begrüßt, ist wie immer mein Sohn«, sagte König Christer mit gespieltem Unmut.
»Mich dünkt, er hat die Nacht lang werden lassen«, fügte Königin Kari hinzu, auch ihr blasses Gesicht von der Sonne vergnügt.
Sigfinn umarmte beide Eltern, wie er es selten tat, als wäre die letzte Nacht eine lange Reise gewesen. »Verzeiht mir die Sorglosigkeit.«
Er aß weniger, als dass er Essen in sich stopfte: Brot, Eier, Käse, Huhn und dazu Milch. Tischmanieren schienen ihm auf einmal fremd zu sein.
»Hat er vor, zum Hünen zu wachsen?«, fragte Christer amüsiert.
»Und wo ist eigentlich Brynja?«, hakte Kari nach. »Seit wann verbringst du auch nur eine Minute ohne sie?«
Ihr war die scheue Zuneigung des Sohnes zu Edelrieds Tochter nicht verborgen geblieben, und sie wusste auch, dass die Gefühle erwidert wurden. Nicht ohne Grund hatte sie den befreundeten König um diese gemeinsame Zeit für die Kinder gebeten, bevor er Brynja einem anderen versprach.
Die Erwähnung ihres Namens versetzte Sigfinn in helle Aufregung, und er sprang auf, noch bevor er den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte. »Brynja!«
So schnell er in den Saal gestürmt war, so eilig lief er wieder davon.
»Der Wahnsinn der Jugend hat ihn befallen«, seufzte Christer und stach mit seiner Gabel nach einem Bratenstück.
»Er benimmt sich, als hätte er nicht alle Zeit der Welt«, stimmte Kari zu. »Doch Ungestüm ist weder Makel noch Tugend und bricht sich einen eigenen
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