Das Erbe der Pandora
geschlagen.«
»Aber genau da liegt das Problem. Kip
ist nicht so kompliziert. Seine Launen sind explosiv. Ich kann mir vorstellen,
daß er im Affekt nach einem Revolver oder Messer greift und aus einer Wut
heraus tötet und daß er dann solch eine Reue verspürt, daß er sich selbst
erschießt oder auf der Stelle die Polizei ruft. Aber der Mord an Bridget war
vorsätzlich. Und selbst falls Kip es geplant haben sollte, er ist ein
Meister des Details. Warum hätte er sich der Mordwaffe entledigen, gleichzeitig
aber belastende Fußspuren hinterlassen sollen? Auf der anderen Seite kenne ich
Kip lange genug, um mir darüber im klaren zu sein, daß gesunder
Menschenverstand nicht zu seinen Stärken zählt. Sein entscheidender Makel ist,
daß er sich für schlauer hält als alle anderen.«
»So ungern ich es auch sage, ich bin
überzeugt, daß Kip meine Tochter umgebracht hat.« Natalie hob trotzig die
Augenbrauen. »Und ich glaube, daß er Alexa Platt auch getötet hat.«
»Kip hatte keine Veranlassung, Alexa
zu töten.«
»Und wenn sie miteinander geschlafen
haben und sie drohte, es Bridget zu erzählen? Vielleicht hat sie es Bridget
sogar erzählt, als sie im Park waren, Kip hat es erfahren und sie umgebracht.«
Iris dachte, daß Bridget ihr von einer
Affäre zwischen Alexa und Kip erzählt hätte. Aber vielleicht war es zu
schmerzhaft für Bridget gewesen zu offenbaren, daß ihre gute Freundin sie
hintergangen hatte. Iris runzelte die Stirn und schüttelte leicht den Kopf, so
als stritt sie mit sich selbst. »Das glaube ich nicht. Bridget hat mir erzählt,
worüber sie und Alexa im Park geredet haben. Sie sagte, Alexa hätte sie
ermutigt, sich von Kip scheiden zu lassen.« Sie quälte sich stillschweigend mit
ihrem eigenen Rat an Bridget: bei ihm bleiben und alles klären.
»Alexa wollte Kip für sich allein
haben, das ist alles.« Natalie wurde immer erregter.
Iris berührte ihren Arm. »Diese
Spekulationen führen doch zu nichts.«
Natalie beruhigte sich nicht und ließ
sich auch nicht davon abbringen. »Eines weiß ich sicher, es gibt eine Seite an
Kip, die bisher niemand von uns kannte. Oder vielleicht war sie schon immer
vorhanden, und wir haben sie nur nicht gesehen.«
Der gleiche Gedanke war Iris auch
schon gekommen, aber sie weigerte sich dagegen, ihm Glauben zu schenken. Ihr
gefiel nicht, was es für Brianna bedeutete. Sie sah noch einmal durch das
Fenster zu dem kleinen Mädchen mit ihrer Puppe. »Kann ich Brianna begrüßen?«
Draußen zog Iris einen winzigen Sessel
neben den von Brianna und zwängte gerade so die Hälfte ihres Gesäß’ hinein.
»Hallo, mein Schatz.«
Brianna sah sie mit ihren
dunkelbraunen Augen zurückhaltend an. Sie begegnete der Welt nun mit Angst und
Mißtrauen. Es zerriß Iris das Herz.
»Hallo, Tante Iris.« Brianna schlug
gleichgültig die Seiten ihres Buches um. »Ich kann dieses Buch lesen.
Jedenfalls vieles darin.«
»Du bist sehr klug, Brianna.«
»Bist du in dein neues Haus
eingezogen?«
»Morgen. Wenn ich eingezogen bin,
kannst du kommen und über Nacht bei mir bleiben.« Iris streichelte dem Kind
über das lange, wellige Haar und mußte schwer schlucken, um die Tränen
zurückzuhalten, die ihr in der Kehle brannten. »Würde dir das gefallen?«
Sie nickte.
Iris fuhr dem kleinen Mädchen noch
einmal mit der Hand durch die Haare. Brianna saß teilnahmslos da, so als müßte
sie noch mehr Aufmerksamkeit von den Erwachsenen hinnehmen. Iris merkte dies
und befreite sich mühsam aus dem Sessel. »Tschüs, Brianna.«
Iris machte eine Runde im Haus, um
sich zu verabschieden. Sie war froh, als sie sah, daß der mitgebrachte
Käsekuchen entdeckt und zum Teil vertilgt worden war. Natalie bestand darauf,
daß Iris etwas von den Lebensmitteln mit nach Hause nahm, und machte sich
daran, verschiedene Sachen vom Eßtisch in Aluminiumfolie und ehemalige Joghurt-
und Margarinebehälter einzupacken.
»Du hast sicher viel mit deinem Umzug
am Hals. Da hast du keine Zeit zum Kochen.«
»Das ist nett von Ihnen, Mrs. Tyler,
aber ich koche ohnehin nicht so viel.«
Natalie hantierte mit entschlossenem
Gesichtsausdruck. Ihre Bewegungen waren schroff. Nach langem Schweigen sprach
sie das Thema an, daß ihr ständig im Kopf herumzuspuken schien. »Eines weiß
ich: Wenn Kip aus dem Gefängnis kommt, werde ich dafür kämpfen, daß Brianna bei
Joe und mir lebt. Nicht, weil ich Kip für einen schlechten Vater halte. Das ist
es ganz und gar nicht. Er ist immer ein hervorragender Vater
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