Das Erbe der Phaetonen
Risiko mußte eingegangen werden. Vielleicht war die Gewitterfront nicht breit?
Tatsächlich hatte das Schiff das Gewitter binnen drei Minuten hinter sich gelassen. Vor den Augen der Besatzung erstreckte sich ein orangeroter Streif.
Wenn dies eine Insel war, dann augenscheinlich eine sehr große, die sich für Landung und längeren Aufenthalt durchaus eignete. Das Schiff befand sich nun genau auf der Grenze von Tag und Nacht, und bald würde der Tag, der lange Tag der Venus anbrechen.
Melnikow drehte ab nach Süden. Während er auf hundert Meter Flughöhe ging, musterte er forschend das Uferrelief und suchte, von allen Besatzungsmitgliedern unterstützt, ein geeig- netes Terrain.
Professor Balandin bemerkte als erster eine schmale Bucht, die sich tief ins Land schnitt und rings von steilen Bergen ein- gefaßt war, auf denen riesige Bäume wuchsen. Er meldete es dem Kommandanten. In dieser windgeschützten Bucht mußte das Wasser ganz ruhig sein.
Als das Schiff sich der Bucht näherte, sahen die Sternfahrer, daß sie zweihundert Meter breit war und mindestens einen Kilometer tief ins Land hinein reichte. Es war ein vorzüglicher Hafen.
Melnikow sah den Kommandanten an.
„Landen!“ befahl Belopolski. „Es ist ungewiß, wo und wann wir anderes Land finden.“
Das Schiff beschrieb einen weiten Halbkreis und setzte zur Landung an.
Die Triebwerke verstummten, und im Gleitflug strich „SSSR- KS 3“ dicht über die Wasseroberfläche, warf vor seinem spitzen Bug schäumende Wogen auf, tauchte allmählich tiefer ein und glitt auf seinem flachgestuften Rumpf wie ein gigantisches Boot dahin. Die Tragflächen wurden eingefahren, und der lang- gestreckte zigarrenähnliche Schiffskörper kam hundert Meter vom Ufer entfernt zur Ruhe.
Sekundenlang verharrten alle Besatzungsmitglieder auf ihren Plätzen. Eine ganz besondere Stille schien eingetreten. Sacht wiegte sich das Schiff. Dann stürmten alle zur Steuerzentrale.
Unter einmütigem Beifall umarmten sich die beiden Kom- mandanten. „Freunde“, sagte Belopolski. „Die erste Hälfte un- serer Fahrt, die schwierigste, liegt hinter uns. Wir haben unser Ziel erreicht. ,SSSR-KS 3' ist auf der Venus gelandet. Ich möchte Ihnen allen danken! Wir denken in dieser glücklichen Stunde aber auch an diejenigen, die uns durch ihre Arbeit auf der Erde zu diesem Glück verholfen haben, an die Erbauer unseres herr- lichen Schiffes. Ihnen sei Ehre und Ruhm! Voller Dankbarkeit denken wir an unseren Lehrer und Freund Sergej Alexandro- witsch Kamow. Er steht nicht an unserer Seite, aber in Gedanken ist er bei uns. Wir sind auf der Venus! Doch – nicht alle, die von der Erde starteten, haben sie erreicht. Um unsern Erfolg hat sich auch unser Leonid Nikolajewitsch verdient gemacht. Ehren wir das Andenken unseres gefallenen Genossen durch eine Minute des Schweigens.“
Ein rätselhafter Fund
Die Kosmonauten durften mit Recht sagen: „Wir haben es ge- schafft!“ Überraschend hatte die Venus ihnen einen natürlichen Hafen geboten, der gegenüber jener Flußmündung, die Kamow und seine Begleiter beim vorigen Venusflug gesehen hatten, viele Vorzüge besaß.
Auf dem Fluß hätte man gegen die Strömung kämpfen müs- sen – in der Bucht gab es keine. Der Fluß wäre völlig deckungs- los gewesen – in der Bucht schützten hohe steile Felsen das Schiff sicher gegen Sturm und Wellenschlag. Seewärts war die Bucht durch eine weit vorspringende felsige Landzunge geschützt. Von welcher Seite der Wind auch wehen mochte, das Wasser in die- sem Fjord würde ruhig bleiben.
Es fehlte eigentlich nur noch der Sonnenschein, und man hätte die Gegend sogar schön nennen können. Ein dünner Nebel stieg von den dunkelblauen Wassern auf, und die Männer fühlten sich wie an einem frühen Sommermorgen auf der Erde. Das braune Steilufer krönte eine dichte Wand aus Gewächsen und mächtigen Bäumen, die seltsame Formen und alle Schattierungen von Orange, Rot und Gelb aufwiesen. Die Baumstämme waren rosafarben – ein für das Auge der Erdbewohner befremdlicher Anblick –, und ein dichtes Netz von Lianen umrankte sie. So sah es jedenfalls von weitem aus. Allem Anschein nach war dieser Wald schwer zugänglich.
Statt blauen Himmels spannte sich eine düstere, von Blitzen durchzuckte dicke Wolkendecke über Fjord und Wald. Und an Stelle hellen Sonnenlichts herrschte trüber Dämmerschein, der die Umrisse verwischte
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