Das Erbe der Phaetonen
vorsichtig.
Sie legten die anderthalb Kilometer in einer Viertelstunde zurück und hielten unmittelbar neben einem Holzstapel.
Balandin erkannte sofort, daß seit ihrem ersten Besuch nie- mand die Stapel angerührt hatte. Die Stämme lagen noch ge- nauso angeordnet wie vorher. Er sah auch jenen Stamm, von dem er sich ein Stück abgeschnitten hatte.
Belopolski nickte wortlos, als der Professor ihm seine Be- obachtungen mitteilte, öffnete den Wagenschlag und trat ins Freie.
Die rätselhaften Stapel sahen zwar noch genauso aus wie vorher, aber der Fluß hatte sich völlig verändert. Als das Unter- seeboot hier ans Ufer gekommen war, hatte er sich wasserreich und ungebärdig tosend durch die Enge aus mächtigen Fels- blöcken gezwängt. Jetzt am Abend aber herrschte an dieser Stelle beinahe Stille. In einer Breite von etwa fünfzig Metern versperrten oberhalb der Felsblöcke Baumstämme dicht bei dicht den Fluß. Die Strömung hatte sie so eng aneinandergepreßt, daß man über sie wie über eine Brücke vom Südufer zum Nord- ufer gelangen konnte.
„Das bestätigt unsere Vermutung“, sagte Balandin. „Die Venusbewohner arbeiten nachts.“
Eingehend betrachtete Belopolski das Wehr. Um besser sehen zu können, stieg er auf den einen Holzstapel. Von oben konnte er genau die Anordnung der riesigen Steine erkennen.
„Es kann kein Zweifel bestehen“, sagte er im Hinuntersteigen, „dies ist ein künstliches Wehr. Aber wenn man die Anwendung technischer Hilfsmittel bei seinem Bau für ausgeschlossen hält, muß man zugeben, daß nur außerordentlich starke Geschöpfe eine derartige Anlage haben errichten können.“
„Das war auch Boris Nikolajewitschs Meinung.“
„Die Frage ist nur, warum sie errichtet wurde.“
„Offenbar brauchen diese Geschöpfe Holz“, erklärte Balandin.
„Und die Bäume, die hier stehen, können sie nicht fällen. Sie sehen ja selber, was für Riesen das sind.“
„Es wäre die einzige Erklärung.“ Belopolski nickte. „Das Holz wird von einer Stelle, die stromauf liegen muß, hierher- geflößt. Und dann wird es zu dem See hinüberbefördert. Wir haben doch Stapel am Seeufer gesehen. Aber wozu brauchen sie soviel Holz? Hier liegen doch Tausende Stämme“, setzte er hinzu und wies auf den Fluß. „Und man darf kühn behaupten, daß ebenso viele an jedem Venustag oder nach unserer Zeit- rechnung alle drei Wochen geflößt werden. Das ist es, was ich nicht verstehe. Na, wir werden es erfahren, wenn wir die Venus- bewohner besuchen, und zwar dort, wo sie wohnen.“
„Ich denke, ihre Behausungen werden im Wald, am Ufer des Sees liegen.“
„Im Wald?“
„Ja. Oder vermuten Sie sie woanders?“
„Fahren wir doch einmal an den See“, schlug Belopolski, der Antwort ausweichend, vor.
„Durch den Wald?“
„Natürlich. Wenn die langen Stämme vom Fluß zum See ge- schleift werden, muß dort eine Schneise sein.“
„Wir können sie ja suchen“, antwortete der Professor lako- nisch.
Er hielt eine Exkursion dieser Art für sehr gefährlich und meinte, sie sollten dazu lieber mit dem stärkeren Geländewagen, und zwar nicht nur mit einem, sondern wenigstens mit zweien, fahren. Aber er behielt seine Gedanken für sich. Er wollte um keinen Preis von Belopolski das gleiche hören, was ihm schon Melnikow entgegnet hatte. Diese vier Männer, Kamow, Pai- tschadse, Belopolski und Melnikow, waren Menschen besonderer Art. In ihrem besonnenen Mut lag etwas, was der Alltagsver- nunft Schweigen gebot. Im stillen hoffte der Professor, daß sie keine Schneise fänden, die breit genug wäre.
„Es ist nicht gefährlich“, sagte Belopolski, als habe er die Gedanken des Genossen gelesen. „Die Venusbewohner sind auf jeden Fall Lebewesen der Nacht.“
„Also – dann – los!“
Sie setzten sich in den Geländewagen. Balandin teilte dem Schiff durch Funkspruch ihre Absicht mit. Melnikow, der den Funkspruch aufnahm, machte keine Einwände. Er bat nur, die beiden Männer sollten Verbindung mit dem Raumschiff halten. Sie brauchten nicht lange zu suchen. Die vermutete Schneise begann ganz in der Nähe, neben den Stapeln, und sie war für das bewegliche Raupenfahrzeug breit genug.
Bei den ersten Bäumen hielt Belopolski an.
Ein gewundener Pfad führte in das Dickicht des Waldes hin- ein und zog sich emsig zwischen den gigantischen
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