Das Erbe der Phaetonen
Stämmen dahin. Das schwache Licht des Tages, richtiger des Abends, drang nicht durch das dichte Laub hindurch, so daß bereits zehn Schritt voraus nichts zu erkennen war. Der Weg verschwand im Dunkel.
Erregt spähte Balandin die Schneise entlang. Hier waren die Herren des unerforschten Planeten gegangen, seine natürlichen Herren, so wie die Menschen die natürlichen Herren der Erde sind. Geschöpfe, mit Vernunft begabt und zielstrebiger Arbeit fähig, werden allzeit und allerorten Gebieter der Natur sein. Mochten sich die Venusbewohner vorerst auch noch auf einem niederen geistigen Niveau befinden, mochten sie primitiv sein und mit primitiven Methoden arbeiten, mochte ihnen auch noch das technische Denken fehlen – das änderte nichts.
Vielleicht werden die Venusbewohner vom Instinkt geleitet? dachte Balandin. – Vielleicht entspricht ihre Arbeit mit den Bäumen der unserer Biber? Vielleicht ist es gar keine schöpfe- rische, sondern mechanische Arbeit?
Aber er verstand sehr wohl, daß alle diese spitzfindigen Schlüsse durch die Tatsache widerlegt wurden, daß sie auf der Koralleninsel ein Lineal gefunden hatten. Es konnte nur den Venusbewohnern gehören. Kein Tier vermag ein Meßinstrument herzustellen. Hier wird mathematisches Denken verlangt. Zu- mindest primitives. Und mathematische Begriffe können nicht in ein Hirn gelangen, dem die Fähigkeit fehlt, logische Schlüsse zu ziehen. Die Logik ist ein Privileg des Menschen.
„Nein, es müssen wohl doch Menschen sein“, sagte der Pro- fessor.
Belopolski schien seinen Gedankengang zu verstehen. Viel- leicht hatte er genauso gedacht.
„Das Lineal schließt jeden Zweifel aus“, antwortete er. „Haben Sie sich übrigens den Boden genau angesehen? Boris Nikolajewitsch hat anscheinend recht, wenn er meint, die Regen- fälle könnten uns im Wald nicht gefährlich werden.“
„Woraus schließen Sie das?“
„Haben Sie nicht gesehen, wie das Gras im Wald nieder- getreten worden ist? Aber vom Wald zu den Stapeln führen keine Spuren. Unter freiem Himmel hält also der Regen das Gras frisch, im Wald aber vermag er es nicht.“
Belopolski legte den ersten Gang ein, und der Geländewagen fuhr langsam an. Der Weg war gerade breit genug, dauernd mußten die Steuerungshebel betätigt werden.
Je tiefer der Wagen in den Wald eindrang, desto dunkler wurde es. Dichtes Unterholz, mit weißem Gras verflochten, schob sich immer näher an das Raupenfahrzeug heran. Die riesenhaften Stämme, die säulengleich das orangerote Gewölbe trugen, strebten himmelwärts, so weit das Auge reichte. Der Geländewagen hatte kaum die erste Kurve durchfahren, da schienen die Bäume hinter ihm zusammenzurücken. Das Ufer entschwand den Blicken der beiden Männer. Wohin sie auch blickten, überall erhob sich eine dunkelrote Mauer, die mit kirschroten Flecken betupft und unten von einem orangeweißen Streifen gesäumt war.
Belopolski und Balandin schwiegen. Sie waren erregt und fühlten sich etwas beklommen angesichts des unzugänglichen, jungfräulichen Waldes, durch den dieser einzige Weg führte, den ihnen noch unbekannte, aber verwandte Geschöpfe gebahnt hatten. Denn sie waren ihnen verwandt, so wie alle denkenden Wesen des unendlichen Weltalls miteinander verwandt sind.
Es dauerte keine Minute, da war es so dunkel, daß der Schein- werfer eingeschaltet werden mußte.
Blendend hell, aber fremd und unpassend wirkte das elek- trische Licht in diesem Wald. Hunderte, vielleicht sogar Tau- sende Jahre standen die Waldriesen, und nie hatte ein Sonnen- strahl sie berührt. An die Finsternis gewöhnt, mußten sie sich über die unerwünschte und dreiste Beleuchtung, die ihre Jahr- hunderte währende Ruhe störte, empören.
Aber Pflanzen empfinden ja nichts.
In dem strengen weißen Licht traten die Bäume, die Sträucher und das seltsam reglose, bleiche Gras plastisch und deutlich aus dem Dunkel hervor.
Nicht die geringste Bewegung ... Totenstille...
Wie ein gewundener Korridor zog sich der geheimnisvolle Weg in die Ferne.
Vorsichtig fuhr der Geländewagen weiter. Die tiefen Spuren seiner Raupenketten drückten der Venuslandschaft einen irdi- schen Stempel auf.
Was werden die Bewohner des Planeten über diese für sie unerklärlichen Spuren denken, wenn sie bei Einbruch der Nacht den vertrauten Weg entlangkommen? Werden sie ihre Bedeu- tung verstehen? Ist der Gedanke für sie
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