Das Erbe der Pilgerin
wird es schaffen!«, sagte er schließlich.
Gerlin nickte. Sie glaubte daran, sie wollte, musste daran glauben. Aber es war doch gut, dass bis dahin noch Zeit war.
Kapitel 2
S ophia spähte besorgt über den Burghof und zog dann rasch ihren wollenen Umhang über ihr Haar, bevor sie das Badehaus eilig verließ. Bislang schien die Luft rein zu sein, die Ritter und Knechte waren wohl schon in der Halle ihres Vaters, um zur Nacht zu essen und dann miteinander zu zechen wie jeden Tag. Nur vor Nachzüglern sollte sie sich in Acht nehmen. Behände durchquerte das junge Mädchen, immer wieder die Deckung von Nischen und Torbögen suchend, den Hof in Richtung der Frauengemächer, um seinen Weg von dort aus zu sichern. Dabei empfand es sehr wohl die Würdelosigkeit seines Tuns. Dies war Sophias Zuhause, ihre Burg! Aber jetzt, da es dämmerte, konnte sie nicht einmal frei und unbeschwert durch die öffentlich zugänglichen Bereiche der Wehranlage gehen, ohne mit dem Angriff eines verfrüht betrunkenen, zudringlichen Ritters rechnen zu müssen! Bei Nacht ging das gar nicht, und selbst tagsüber folgten ihr Spott und zotige Reden, wenn sie sich außerhalb ihrer Kemenate zeigte. Sie dachte noch mit Grausen daran, wie sie einer der Männer einmal in eine Mauerecke gezogen und unsittlich berührt hatte.
Die Vierzehnjährige fürchtete sich seitdem panisch vor den Rittern ihres Vaters – wobei es den Mägden und Köchinnen nicht anders ging. Lediglich vor Sophias Mutter zeigten die Kerle ein wenig Respekt. Tatsächlich hatte sich Luitgart von Ornemünde jedoch schon tagelang nicht mehr außerhalb ihrer Räume gezeigt. Sie überließ die Haushaltsführung mehr und mehr den Ministerialen ihres Mannes – und ihrer Tochter Sophia, die das ja schließlich lernen musste, wie Luitgart immer wieder anführte. Sophia fragte sich nur, wie sie diese Aufgabe ohne Anleitung bewältigen sollte. Die Haushaltsbücher waren ihr ein Buch mit sieben Siegeln, was wohl auch daran liegen konnte, dass sie seit Jahren vom Truchsess geführt wurden, welcher kaum lesen und schreiben konnte. Erst vor Kurzem hatte Sophia sehr alte Aufzeichnungen entdeckt, noch aus der Zeit, als die Vorgänger ihrer Eltern die Burg leiteten. Die damalige Hausfrau schien deutlich mehr von Buchführung verstanden zu haben – und ganz sicher hatte die Herrschaft des Grafen Dietrich die Wirtschaft von Lauenstein nicht zugrunde gerichtet. Womit einer der Gründe wegfiel, die man Sophia für den Machtwechsel in den Jahren vor ihrer Geburt genannt hatte. Graf Roland habe für seinen jung verstorbenen Neffen und dessen nichtsnutzige Gemahlin die Herrschaft über das Land übernehmen müssen.
Der König hätte ihm dafür eigentlich dankbar sein müssen, aber infolge irgendwelcher Intrigen war Sophias Vater nach wie vor nicht als Lehnsherr der Grafschaft Lauenstein anerkannt. Weshalb sich denn auch selten tugendhafte Ritter auf seine Burg verirrten oder gar Troubadoure, die Sophia und ihrer Mutter das Lob der Hohen Minne sangen. Sophia wusste nur aus Handschriften und Geschichten, dass es so etwas überhaupt gab. Aus eigener Anschauung kannte sie Liebe nur als abstoßende Verschmelzung zweier keuchender Leiber im Schatten der Burgmauer. Viele Kinder der Mägde und Küchenhelferinnen auf Lauenstein kannten die Namen ihrer Väter nicht.
Sophia immerhin hatte jetzt die Sicherheit der Frauengemächer erreicht und huschte über die dunklen Flure dort. Die meisten der Räume hier waren seit Jahren verwaist. Dabei sollten sie eigentlich von Hofdamen und Mädchen bewohnt sein, die der Dame des Hauses zur Hand gingen und den Töchtern des Burgherrn Gespielinnen waren. Aber Roland und Luitgart von Ornemünde hatten nur ein einziges Kind, Sophia. Und kein Edelmann aus der Nachbarschaft hätte seine Tochter zur Erziehung an den Hof von Lauenstein gesandt – wobei Sophia selbst auch kein Kind unter die Obhut ihrer Mutter gestellt hätte … Sie versuchte sich jetzt so unauffällig an Luitgarts Gemächern vorbeizuschleichen wie eben möglich, aber das erwies sich als erfolglos. Ihre Mutter hatte sie gehört und stieß die Tür ihrer Räumlichkeiten auf.
»Oh, Sophia! Mein wunderschönes Mädchen …«
Luitgarts Stimme klang lallend, aber das war um diese Zeit des Tages nicht ungewöhnlich. Schon den morgendlichen Wein pflegte die Herrin der Burg nicht mit Wasser zu verdünnen. Mittags trank sie große Mengen, und am Nachmittag versüßte sie sich die endlosen Stunden der Handarbeit mit
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