Das Erbe der Pilgerin
Der auf dem Tisch ihrer ursprünglich wertvoll eingerichteten, jetzt aber etwas verwahrlost wirkenden Kemenate stehende Krug war fast leer.
»Wir werden nach Mainz reiten und dich dem König vorstellen!«, sagte Luitgart großspurig. »Dem neuen König! Nicht Otto IV., diesem alten Zauderer, der nichts um seine Edelleute gab. Nein, Friedrich dem Staufer, der in Mainz gekrönt wird. Er sei ein Schöngeist, heißt es, und ein vernunftbegabter Mann. Wenn wir ihm unseren Fall vortragen …«
Sophia lächelte müde. »Aber Mutter, der König wird uns nicht einmal anhören. Wieso meinst du überhaupt, wir würden zu ihm vorgelassen? Er hat doch sicher anderes zu tun.«
»Wir werden zu seiner Krönung reisen!«, trumpfte Luitgart auf. »Das kann man uns nicht verwehren, Lauenstein ist ein Teil des Erzbistums. Wir sind Untertanen des Bischofs.«
»Aber er hat uns niemals als solche anerkannt, er …«
Sophia erschrak. Der Bischof nahm die Abgaben von Lauenstein zwar stets an und quittierte sie auch ordentlich. Aber ansonsten hatte er die Briefe Rolands von Ornemünde nicht beantwortet, und er hatte den Lauensteiner auch abschlägig beschieden, als Roland ihn ehemals bat, seine Ehe zu segnen und seine Tochter zu taufen. Das hatte letztlich sein Amtsbruder aus Bamberg übernommen. Zwischen den Kirchenfürsten herrschte ständige Rivalität – Lauenstein lag näher an Bamberg, gehörte aber dennoch zu Mainz, und der Bamberger hoffte immer noch, dem eigenen Bistum die einträgliche Grafschaft irgendwann einverleiben zu können.
»Er … er m … muss uns an … anerkennen, schließlich kann er uns nicht aus der Kirche weisen …«
Luitgarts Worte klangen immer verworrener. Sophia hoffte, dass ihre Mutter vielleicht einschlafen würde, bevor ihr der Mangel an weiterem Wein auffiel. Ein nächtlicher Gang in den Keller war das Letzte, was sie an diesem Abend noch zu unternehmen gedachte! Aber Sophia kam nicht umhin, den Plan ihres Vaters zu bewundern. Ihre Mutter hatte Recht, der Bischof würde keinen Eklat riskieren, vor dem König und all den geladenen Würdenträgern. Wenn er die Lauensteiner der Kirche verwies, würde er alle darauf aufmerksam machen, dass die Dinge in seinem Bistum nicht so geordnet waren, wie sie sollten. Roland würde auch sicher versuchen, die Lauensteiner Erbfrage vor den neuen König zu bringen – der mit ihrer Verhandlung zwangsläufig überfordert war. Er konnte die genauen Umstände weder kennen noch sich rasch darüber kundig machen. Wenn er nur halb so klug und gerecht war, wie man hörte, würde der König sich also des Urteils entziehen – und den Bischof dafür verantwortlich machen, dass er sich gleich um die erste Entscheidung als neuer Regent herumdrücken musste.
Nein, Bischof Siegfried von Eppstein würde in den sauren Apfel beißen müssen, die Lauensteiner zu dulden. Und wer wusste, was sich daraus noch ergab! Sophias Herz klopfte plötzlich heftig. Vielleicht würde sich ja tatsächlich etwas ändern! Vielleicht würde sie bald an den Höfen ihrer Nachbarschaft willkommen sein, würde Musik hören, Turniere besuchen – und edle Ritter als ihre Minneherren empfangen dürfen!
Sophia ging lächelnd in ihre Räume, als ihrer Mutter endlich über dem letzten Lamento der Becher Rotwein aus der Hand rutschte. Sie würde Luitgarts Kammerfrau suchen, damit sie ihre Herrin zu Bett brachte – und sie selbst würde noch ein wenig lesen.
Das junge Mädchen schlief schließlich über einem Roman des Thomas d’Angleterre ein – Tristan un d Isolde . Ein wunderschöner Ritter, der sich in ein wunderschönes Mädchen verliebte, das einem anderen versprochen war … Sophia von Ornemünde träumte bittersüße Träume.
»Und Ihr werdet uns nun verlassen?«, fragte Francine de Maricours lächelnd.
Sie empfing ihren jüngsten Minneherrn im Rosengarten des Louvre – einer eher kleinen Anlage, welche die verstorbene Königin ihrem Gatten abgetrotzt hatte. An sich war die Festung eher als Wehranlage ausgelegt denn als Schauplatz für einen Minnehof. Zumal König Philipp der neuen Mode der gemeinsamen Erziehung von Rittern und Edelfräulein äußerst skeptisch gegenüberstand. Die Schöpferin der Minnehöfe war schließlich Eleonore von Aquitanien, die Mutter seines alten Feindes Richard Löwenherz. Aber andererseits musste die Königsfamilie repräsentieren – und die junge Prinzessin Marie hatte angemessen aufgezogen werden müssen. Auch heute noch bevölkerten deshalb Mädchen und junge
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