Das Erbe der Pilgerin
heißem, süffigem Würzwein. Jetzt, gegen Abend, war die Mutter längst betrunken, auch wenn sie sich noch aufrecht hielt und halbwegs wach wirkte. Sophia mochte ihr dann aber nicht mehr begegnen. Sie war es leid, die Klagen ihrer Mutter zu hören, ihre endlosen Vorwürfe gegen ihren ersten Mann, der es nicht geschafft hatte, einen Erben mit ihr zu zeugen, und der sie dann nicht mal als Regentin über Lauenstein eingesetzt hatte, als er die Burg seinem minderjährigen Sohn hinterließ. Sie schimpfte über den Unverstand ihrer Stiefschwiegertochter, die ihren Sohn nicht der Vormundschaft Rolands von Ornemünde überlassen wollte – und schließlich klagte sie über Sophias Vater Roland, der Luitgart letztendlich zwar geheiratet hatte, es aber nicht schaffte, ihr ein wirklich standesgemäßes Leben zu bieten. Und seiner Tochter auch nicht.
Luitgart bekümmerte sich immer wieder wortreich darüber, dass keiner der Adelshöfe, die sie angeschrieben hatte, bereit gewesen war, Sophia von Ornemünde zur Erziehung anzunehmen. Eine Burgherrin nach der anderen lehnte mehr oder weniger höflich ab – die Tochter des Usurpators von Lauenstein war nirgendwo erwünscht. Selbst das Nonnenkloster Sankt Theodor in Bamberg, in dem Sophia schließlich wenigstens lesen und schreiben gelernt hatte, bat die Lauensteiner nach nur einem Jahr, das Mädchen entweder ganz dem Kloster zu verschreiben oder zurück nach Hause zu holen. Sophia sei zwar klug und ein angenehmes Kind, aber die Eltern anderer Zöglinge hätten bei der Oberin Klage geführt. Ihre Töchter sollten nicht gemeinsam mit dem Spross eines Erbschleichers die Schulbank drücken.
»Zweifelsfrei wird es auch nicht einfach sein, Sophia eines Tages zu verheiraten«, hatte die Oberin in einem sonst freundlichen Brief angemerkt. »Weshalb Ihr vielleicht daran denken solltet, das Mädchen früh einem Orden anzuloben. Sophia ist gottesfürchtig und lernfreudig, sie könnte im Kloster schon jung zu hohen Ehren gelangen.«
Roland von Ornemünde hatte über das Schreiben der Ordensfrau allerdings nur gelacht. »Schwer zu verheiraten? Jeder Ritter, den wir nur einen Blick auf sie werfen lassen, wird sich die Finger nach ihr lecken!«
Sophia war damals erst neun Jahre alt gewesen und scheu und ängstlich nach der mehrtägigen Reise und dem Jahr in der Stille und Abgeschiedenheit des Klosters. Das Poltern und laute Gelächter ihres Vaters hatte sie erröten lassen. Aber dass sie schön sei, hatte sie auch in Bamberg bereits zu hören bekommen. Selbst die Ordensfrauen hatten ihr Haar, das wie ein Mantel von gesponnenem Gold über ihre Schultern fiel, und ihre Augen, grün wie ein Waldsee, in dem sich unzählige Geheimnisse widerspiegelten, gepriesen. Sophias Augen erschienen mal warm wie eine Frühlingswiese im Sonnenlicht, mal verträumt wie die Blätter eines Laubbaums im abendlichen Schatten. Ihre Lippen waren voll, ihre Lider schwer, was ihren Ausdruck sinnlich machte – aller Unschuld zum Trotz. Die schmale Gestalt und die ebenmäßigen Gesichtszüge hatte das junge Mädchen von der Mutter geerbt – auch Luitgart war eine erlesene Schönheit gewesen und hätte auch jetzt noch gut ausgesehen, hätte der übermäßige Genuss von Wein ihr Gesicht und ihren Körper nicht aufgeschwemmt und ihren Blick umflort.
Bisher hatte noch kein Mann an Sophias Herz gerührt, und Gott sei Dank hatte sie dem Kerl entkommen können, der beinahe ihren Leib geschändet hätte. Sie trug seitdem stets ein Messer bei sich, fest entschlossen, ihre Jungfräulichkeit gegen jeden Ritter ihres Vaters zu verteidigen. Es war ihr egal, ob sie um ihres Namens willen schwer zu verheiraten sein würde. Wenn es sein musste, würde sie sich auch einem Leben im Kloster fügen. Aber ganz sicher wollte Sophia mit keinem der Männer vermählt werden, die nur Lüsternheit – und vielleicht die Aussicht auf ein kleines Lehen innerhalb der Gemarkung Lauenstein – in ihre Arme trieb.
Nun lauschte sie ungeduldig dem immer gleichen Sermon ihrer Mutter, die von ihrer Schönheit schwärmte und die wunderbaren Partien aufzeigte, die für Sophia möglich gewesen wären, hätte ihre Eltern kein so ungerechtes Schicksal ereilt.
»Aber nun wird sich ja vielleicht etwas ändern!«, erklärte Luitgart schließlich hoffnungsvoll.
Sophia horchte auf. Sollte ihre Mutter ihr wirklich etwas mitzuteilen haben? An sich hatte sie eher gefürchtet, gleich noch in den Weinkeller geschickt zu werden, um Luitgarts Vorräte aufzufüllen.
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