Das Erbe der Pilgerin
Erleichterung darüber, dass Geneviève sie duzte.
Geneviève verdrehte die Augen. »Wenn es der Prinzessin genehm ist«, höhnte sie.
Sophia schlug die Augen nieder. »Ich meinte doch nur, ob es … ob es sicher ist. Die … die ganze Burg hier ist doch bestimmt voller Ritter, und da …«
Genevièves Blick wurde etwas gnädiger. »Die werden dir nichts tun«, behauptete sie, überlegte dann aber, dass man von der Burg ihres Vaters vielleicht nicht auf den Haushalt des Grafen schließen konnte. Das katholische Mädchen hatte wohl einschlägige Erfahrungen gemacht, seine Bedenken schienen echt. »Sie sollten dir jedenfalls nichts tun«, schränkte sie ein. »Aber du musst ohnehin nicht über den Hof. Die Küche liegt in diesem Gebäude, du brauchst den Frauentrakt gar nicht zu verlassen.«
Geneviève pflegte die Dienste der Mägde grundsätzlich nicht in Anspruch zu nehmen, sondern erledigte jede Besorgung selbst. Bislang war sie dabei noch nie belästigt worden, aber ihre schlichte schwarze Kleidung weckte natürlich auch weniger Begehren als Sophias lindgrüne Surcotte über dem heidelbeerfarbenen Unterkleid.
»Vielen Dank«, meinte Sophia. »Möchtet Ihr … möchtest du … soll ich dir auch was mitbringen?«
Geneviève schüttelte den Kopf. »Ich hatte bereits etwas Brot, aber es heißt, wir müssten nachher ohnehin noch einmal speisen. Dies ist wohl ein … nun, ein Minnehof. Die Mädchen nehmen die Mahlzeiten gemeinsam mit den Rittern ein. Jedenfalls die wichtigsten. Man … man wird uns rufen.«
Sophia errötete bei diesem Gedanken, was ihr weitere Sympathien Genevièves eintrug. Der Fränkin schien das Tafeln im Rittersaal genauso wenig zu gefallen wie ihr. Die ärgste Prüfung – ein dummes, putzsüchtiges Mädchen in ihrer Kemenate – blieb Geneviève also erspart.
Sophia schien etwas sagen zu wollen, hielt sich dann aber zurück. Geneviève sah, dass sie sich in einen unförmigen Mantel hüllte, bevor sie aus dem Zimmer huschte. Kurze Zeit später war sie wieder da – mit Brot, Käse, etwas kaltem Braten und Milch.
»Möchtest du wirklich nichts?«, fragte sie, während sie die Speisen hungrig hinunterschlang.
Geneviève lief das Wasser im Munde zusammen, aber sie schalt sich ihres Begehrens. »Vielleicht einen Kanten Brot«, gab sie schließlich nach. »Alles andere … alles andere esse ich sowieso nicht.«
Sophia runzelte die Stirn, als sie Geneviève in das Brot beißen sah. Die andere schien nicht minder hungrig zu sein als sie selbst. Aber das passte zu den vielen Vaterunsern.
»Musst du … musst du irgendwie Buße tun?«, fragte sie schüchtern. »Fasten und Beten – oder so? Hast du … irgendwas gemacht?«
Nervös spielte Sophia mit ihren Armreifen. Geneviève trug keinen Schmuck, aber jetzt lächelte die dunkelhaarige junge Frau, und das machte ihr Gesicht endlich weich und freundlich.
»Nein«, sagte Geneviève. »Hat man dir nicht erzählt, dass ich Bonnefemme bin?«
»Was?«, fragte Sophia. Sie hatte den Ausdruck noch nie gehört. »Gute … Frau …?«, meinte sie zögernd.
»Sozusagen«, meinte Geneviève. »Verzeih, ich vergaß, dass du nichts von meinem Glauben wissen kannst. Es gibt nur wenige Freunde Gottes in Deutschen Landen.«
»Wir haben eine Menge Mönche und Ordensfrauen!«, verteidigte Sophia die Gottgefälligkeit ihres Landes. »Und Priester.«
Geneviève lachte. »Zweifellos. Aber ich gehöre zu den Gläubigen, die ihr Albigenser nennt. Und Ketzer.«
Sophia bekreuzigte sich. »Du glaubst nicht an Gott und den heiligen Herrn Jesus?«, fragte sie.
Bisher war ihr der Hof von Toulouse noch nicht sonderlich bedrohlich erschienen, selbst die Schmeicheleien und zotigen Scherze des Grafen während der Reise waren nicht vergleichbar mit der Disziplinlosigkeit auf Lauenstein. Aber wenn man hier Ketzer frei herumlaufen ließ …
Sie atmete auf, als Geneviève den Kopf schüttelte. Und lauschte dann fasziniert ihrer Einführung in den Glauben der Albigenser.
»Es gibt das Gute und das Böse. Deine Seele ist rein, aber dein Körper beschmutzt sie. Die Welt um uns herum ist schlecht, all das, was du siehst, was du berühren kannst … wir müssen darum kämpfen, uns davon zu befreien …«
Bis zu einem gewissen Grad konnte Sophia der Dunkelhaarigen mühelos folgen. Auch sie hatte die Welt oft als feindlich, lüstern und verderbt empfunden. Aber dass nun alles Fleischliche schlecht sein sollte … von einem Glas Milch bis zu Dietmars Küssen …
»Eine Kuh gibt
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