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Das Erbe der Pilgerin

Das Erbe der Pilgerin

Titel: Das Erbe der Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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Bildung, seinem Sprachgebrauch und gelegentlichen Zitaten aus dem Alten Testament. Ein Papstanhänger hätte die kaum gekannt, wenn er nicht gerade Priester war, und ein Albigenser – nun, das einfache Volk las diese verderbten Texte gar nicht erst, und die Parfaits würden sich eher die Zunge abbeißen, als daraus zu zitieren. Besonders die Schöpfungsgeschichte galt ihnen als ein Manifest des Bösen. Hatte der Weltenschöpfer die Seelen der Menschen doch aus der rein geistigen, von Liebe und Licht geprägten Welt des wahren Gottes herausgerissen und in sterbliche, sündige Leiber gesperrt! Schlimm genug, dass die Mehrheit der Christenheit diese Geschichten als Teil ihres Heiligen Buches anerkannten. Aber die Juden, die ausschließlich den Gott des Alten Testaments anbeteten, waren sicher besonders verdammt.
    Andererseits wusste Geneviève natürlich nicht, ob es im Bereich der Verdammung Abstufungen gab – was sie dem Medikus gegenüber wieder milder stimmte. Seinem Irrglauben zum Trotz schätzte sie Herrn Gérôme – und ließ nichts unversucht, ihn doch noch zur Erlösung zu führen. Was das anging, so bestand keine Eile. Auch die allermeisten Bonhommes empfingen die Geisttaufe erst auf dem Sterbebett. Und der Medikus war trotz seiner Behinderung noch recht lebendig.
    »Nun, vor allem erweist dir das Melioramentum doch Ehre«, meinte der Medikus nun. »Und die verdienst du, wenn du das Leben der Reingläubigen führst – egal von wem. Aber was bringt dich nun her, Geneviève – zumal in diesem aufgelösten Zustand mit wehendem Haar und blitzenden Augen?«
    Geneviève errötete. Man sollte ihr ihre Erregung nicht ansehen! Louise de Foix, die Parfaite, die ihre Lehrmeisterin war, wirkte immer kühl und gelassen, egal was gerade passierte. Wahrscheinlich würde sie irgendwann auch mit gleichmütigem Lächeln auf den Scheiterhaufen steigen.
    »Mein Vater schickt mich an den Hof von Toulouse«, berichtete Geneviève. »Mit dem Segen des Bischofs. Ich … ich werde gar nicht gefragt … Dabei … oh, Herr Gérôme, ich will da nicht hin! Dieser verderbte Hof, und all diese Sünder!«
    Der Medikus nahm einen Schluck aus dem Becher Wein, der neben ihm stand. Geneviève warf ihm einen missbilligenden Blick zu. Jedes vergorene Getränk war dem wahren Gläubigen verboten.
    »Wovor hast du denn Angst, Geneviève? Dass die Sünde abfärbt? Das passiert nicht so leicht.«
    »Aber … aber sie sprechen von … von Erziehung. Ich werde tun müssen, was man verlangt, ich … Man wird mich zwingen.«
    Der Medikus schüttelte den Kopf. »Keiner kann dich zwingen zu sündigen, Kind. Und keiner kann dich gegen deinen festen Willen ändern. Ändern kannst nur du dich selbst. Wenn du das allerdings fürchtest – dann bist du vielleicht nicht so fest im Glauben, wie du meinst. Und es ist besser für dich, wenn du es herausfindest, bevor du dich dem Consolamentum unterwirfst.«
    »Aber dann wird meine Seele nicht gerettet!« Geneviève war den Tränen nahe. »Ich will doch …«
    Der Medikus seufzte. »Ihr sprecht immer von eurem guten Gott, aber er ist strenger als jeder andere. Glaubst du wirklich, Kind, Gott könnte nicht in deine Seele sehen? Überlass doch einfach ihm, ob er dich retten will. Ob dir vorher ein Parfait die Hand aufgelegt hat oder nicht.«
    »Ihr versteht das nicht!«, klagte Geneviève.
    Der Medikus lachte. »Oh, Kleines, ich habe an so vielen Höfen gelebt und mit so vielen Gläubigen zu tun gehabt, vom christlichen Bischof bis zum maurischen Emir. Wobei jeder der Überzeugung war, er und nur er sei im Besitz der absoluten Wahrheit. Ich glaube, wenn Gott eine schlimmste Sünde benennen müsste, so wäre es die der Besserwisserei. Wobei es ja noch lässlich ist, Andersgläubige nur zur Hölle zu verdammen. Leider neigen viele dazu, sie auch selbst dorthin zu befördern, mittels Feuer und Schwert.«
    »Ihr nehmt mich nicht ernst!«
    Geneviève fuhr auf. Die ständige Beherrschung und Gelassenheit einer Parfaite ließ sie wirklich noch vermissen, was der Medikus mit einer gewissen Belustigung feststellte.
    »Du bist eine kluge, willensstarke junge Frau, Geneviève, und ich halte deine unsterbliche Seele nicht für gefährdet am Hof von Toulouse. Eher mache ich mir Sorgen um dein sonstiges Wohlergehen. Der Graf will dich ja nicht als geistige Beraterin, den hat eher deine Schönheit geblendet, also nimm dich in Acht. Nimm dich auch in Acht vor Hofintrigen. Christliche Höfe sind ein gefährliches Pflaster für

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