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Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin

Titel: Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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verachteten. »Schoßkind«, »Laffe«, »Jammerlappen«, das waren noch die gelindesten Beschimpfungen, die er seitens derer über sich ergehen lassen musste, die das peinliche Abschiedsgebaren der Herdmeisterin in Sanforan miterlebt hatten. Seit sich die kleine Szene herumgesprochen hatte, fand Abbas zwischen den Planwagen und schwer beladenen Holzkarren keine Ruhe mehr. An der dunklen Hautfarbe konnte zudem jeder seine Abstammung erkennen, und so entwickelte sich der Marsch zu Ruhm und Ehre für den jungen Wunand schon bald zur Pein. Wohin er auch flüchtete, der Spott folgte ihm.
    Wie ein Schatten schlängelte Abbas sich unbemerkt zwischen den Kriegern hindurch, bis es ihm schließlich gelang, Keelin einzuholen.
    »Mein Freund?« Verstohlen schob sich Abbas von hinten neben den jungen Falkner.
    »Abbas?«, fragte Keelin ungläubig. »Wie kommst du hierher? Du müsstest doch …«
    »Was ich muss, ist mir einerlei«, flüsterte Abbas. »Da hinten ist es nicht auszuhalten. Ein Wunand, der keine Feuerpeitsche bei sich trägt, zählt nicht viel dieser Tage.«
    Keelin nickte bedächtig. »Willst du zurück nach Sanforan?«
    »Wie kommst du denn darauf?«, fragte Abbas entrüstet. »Ich bin keineswegs hier, um mich von dir zu verabschieden. Ich habe mich bloß nach der Gesellschaft eines guten Freundes gesehnt.«
    »Sei aber vorsichtig«, mahnte Keelin leise, der sich ehrlich freute, Abbas an seiner Seite zu haben. »Die Heermeister werden das nicht dulden.«
    Der Weg führte von nun an stetig bergauf und wurde immer beschwerlicher. Die Hufe der Kataurenpferde hatten den vom Regen durchweichten Boden in einen zähen Brei verwandelt, und jeder Schritt erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit.
    Für mehr als ein paar aufmunternde Worte blieben Keelin und Abbas keine Zeit. Besonders Abbas, der ohne militärische Ausbildung auf derart Kräfte zehrende Märsche nicht vorbereitet war, litt unter den harten Bedingungen. Aus anfänglichen Seufzern wurden leise Flüche, und schließlich verwünschte er gar den Tag, an dem er sich entschieden hatte, in die Schlacht zu ziehen.
    »… hätte auf die Herdmeisterin hören sollen … kein Leben für einen Wunand … werde erfrieren, ohne den Pass jemals gesehen zu haben …«, klagte er mürrisch.
    Auch Keelin litt unter den Strapazen, doch er hatte schon als Kind gelernt, Kälte und Schmerz klaglos zu ertragen. »Beruhige dich, Abbas«, sagte er leise zu seinem Freund. »Du kannst aufhören zu jammern. Nicht mehr lange, dann haben wir den Wald hinter uns. Auf der Ebene sind bereits die Feuer für das Nachtlager entzündet. Eine heiße Suppe wird dich rasch erwärmen und dich den Regen vergessen lassen.«
    Abbas unterbrach seine fortwährenden Selbstgespräche, reckte den Hals und spähte neugierig voraus. »Woher weißt du das? Ich sehe nur Bäume und Nebel.« Er stöhnte Mitleid erregend. »Wenn du dich über mich lustig machen willst, hätte ich auch im Tross bleiben können. Ich sterbe fast, und du …«
    Keelin schmunzelte. »Horus ist am Nachmittag vorausgeflogen und hat das Lager entdeckt. Wir sind bald da, du wirst schon sehen.«
    »Ich brauche keine aufmunternden Worte«, fuhr Abbas ihn an. »Ich bin halbtot, bis auf die Knochen durchnässt …« Er verstummte.
    So unvermittelt, als hätte jemand einen Vorhang aufgezogen, lichteten sich in diesem Augenblick die Bäume des Waldes. Im Schein der beiden Monde erstreckte sich vor ihnen eine weite, von dünnen Nebelschleiern bedeckte Ebene, deren sanft gewellte Hügel sich wie Inseln aus dem bodennahen Dunst erhoben. Dazwischen – Abbas konnte es kaum glauben – wurde der Dunst von dem verheißungsvollen Licht der Lagerfeuer erhellt. Das Nachtlager!
    Der Anblick gab ihm neue Kraft. »Die Herdmeisterin wird sich noch wundern«, erklärte er, als wäre alle Mühsal bereits vergessen. »Abbas, der Küchenjunge, wird schon noch den Ruhm erwerben, den zu erringen er ausgezogen ist.« Er knuffte Keelin mit dem Ellenbogen in die Seite, schritt ein wenig schneller aus und rief »Na los, worauf wartest du noch? Von den paar Regentropfen lassen wir uns doch nicht unterkriegen!«

 
     
     

     
     
    Der Vollmond stand hoch am Himmel. Silbernes Licht erhellte die Nacht, floss durch den runden, mit Federn geschmückten Traumfänger am Fenster und warf einen spinnwebgleichen Schatten auf den Teppich.
    Es war spät. Ajana konnte nicht schlafen. Immer wieder sah sie zum Wecker oder schaute hinaus in den nächtlichen Garten. Alles war friedlich.

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