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Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin

Titel: Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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hintu , stand dort zu lesen. Was war das nur für eine eigenartige Sprache? Ajana war ratlos. Die Notiz konnte ihr nicht weiterhelfen. Alles, was sie hatte, um das Geheimnis zu ergründen, waren seltsame und mit zittriger Hand gesetzte Noten, die aussahen, als wären sie in großer Eile niedergeschrieben worden.
    An Schlaf war nicht mehr zu denken.
    Wie ein Detektiv auf Spurensuche vertiefte Ajana sich in das Notenblatt, in der Hoffnung, eine Melodie herauslesen zu können. Die Noten hatten einen sehr eigenen, altertümlichen Stil. Hastig holte sie Notenpapier aus der Schublade, übertrug das, was sie lesen konnte, in die Linien und ließ Lücken für die Zeichen, die nicht zu entziffern waren.
    Kurze Zeit später hatte sie die lesbaren Noten sorgfältig abgeschrieben und summte jene Teile des Liedes, die sich daraus ergaben, leise vor sich hin.
    Plötzlich verstummte sie. Mit zitternden Händen faltete sie das Notenblatt wieder zusammen und legte es mit dem Amulett und dem Seidenpapier zurück in die Schachtel, die sie so eilig in der Schreibtischschublade verstaute, als ginge eine Gefahr davon aus.
    Es war nicht mehr nötig, die fehlenden Noten zu ergänzen. Ajana wusste bereits, welche Melodie auf dem Zettel niedergeschrieben war. Es war dieselbe, die sie kurz zuvor gehört hatte.
     
     
     
    Der Mond stand hoch am Himmel und warf silbernes Licht auf eine spärlich bewachsene Ebene. Das Gras war verdorrt, und die wenigen Büsche, die sich auf dem kargen Boden angesiedelt hatten, trugen keine Blätter. Grauer Dunst hing träge in den flachen Mulden, während ein frostiger Windhauch von den fernen Bergen herabstrich und die Vorahnung des Winters in das flache Land trug.
    Die Luft war eisig, doch Ajana spürte die Kälte nicht. Der Anblick der schneebedeckten Berge, die sich zum Greifen nah und doch so fern über den Dunst erhoben und sich mit schroffen Gipfeln und Graten trotzig den Sternen entgegenreckten, hielt sie gefangen. Nie zuvor hatte sie ein so mächtiges Gebirge gesehen. Es schien, als hätte die Natur dem Wort ›Ewigkeit‹ an diesem Ort ein Gesicht verliehen.
    Sie fühlte sich eins mit der Unendlichkeit, spürte den langsamen Pulsschlag der Zeit, die den steinernen Giganten nichts anzuhaben vermochte. Jahrzehnte wurden zu Minuten, Jahrhunderte zu Stunden, und ein Menschenleben erschien ihr so flüchtig und vergänglich wie ein Wimpernschlag.
    Eine seltsame Mattigkeit erfasste Ajana. Fragen, die sie sich nie gestellt hatte, gingen ihr mit einem Mal durch den Kopf!
    Was war ihr Leben angesichts der Ewigkeit wert? Was konnte ein Mensch, was konnte sie in der kurzen Lebensspanne vollbringen, die ihr vergönnt war? Würde sie Spuren hinterlassen? Oder würde ihr Andenken fortgespült werden, verschlungen von den Wellen des Vergessens, die der Ozean der Zeit fortwährend an den Strand des Lebens spülte? Würde man sich ihrer je erinnern?
    »Jedem ist eine Aufgabe bestimmt!« Leise strich die körperlose Stimme durch Ajanas Traum. »Das Rad des Schicksals steht niemals still.« Die Stimme trieb davon, wurde leiser und kehrte noch einmal zurück. »Niemand kann ihm entfliehen. Niemand … niemand …«Immer leiser wurde die Stimme und entschlüpfte dann als geisterhaftes Wesen in den grauen Dunst.
    Für wenige Augenblicke war es still.
    »Sieh!« Plötzlich war die Stimme wieder da. Sie rief dieses eine Wort laut und fordernd, wie einen Befehl – und das Bild der Berge verschwand, der Mond war fort.
    Nichts blieb als Dunkelheit.
    Nach endlosen Herzschlägen wurde es wieder hell.
    Ajana stand an einem Fluss. Eine dichte, undurchdringliche Nebelwand erhob sich an dem steinigen Ufer und machte es ihr unmöglich zu erkennen, was sich dahinter verbarg. Die Geräusche des fließenden Wassers und der seichten Wellen, die gegen die Uferböschung schlugen, drangen aus dem Nebel und trugen ihr die Ahnung eines breiten Stroms zu.
    Obwohl Ajana nichts als blasse Dunstschleier erkennen konnte, war es ihr unmöglich, den Blick abzuwenden. Sie fühlte, dass sich etwas darin verbarg. Etwas, das eine schmerzliche Sehnsucht in ihr entfachte und sie wie eine verlorene Tochter willkommen hieß, das ihr gleichzeitig aber auch Angst machte. Ajana wollte einen Schritt zurückweichen, doch als sie an sich herabsah, gewahrte sie, dass ihre Füße knorrigen Wurzeln entwachsen waren, die tief in die Erde hinabreichten.
    Sie erschauerte, und eine namenlose Furcht schnürte ihr die Kehle zu. Mit aller Kraft versuchte sie zu fliehen,

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