Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin
denn er wusste, dass es nur für gute Arbeit guten Lohn gab.
Aus den Augenwinkeln sah er fünf Fischerjungen vom Blute der Fath am Hafen entlangschlendern. Rasch duckte er sich. Doch sie hatten ihn längst entdeckt, änderten ihre Richtung und steuerten schnurstracks auf ihn zu.
»He, schaut euch den an!«, rief der größte der Jungen mit gespielter Verwunderung. »Ist das nicht Keelin?«
»Keelin, der Bastard«, höhnte ein anderer. »Keelin, das Waschweib.«
Die Jungen lachten.
»Kisten schrubben ist was für Mägde.« Einer spie unmittelbar neben Keelin ins Wasser. »Weiberarbeit«, fügte er abfällig hinzu.
Keelin antwortete nicht. Als mache ihm das Gerede der Spötter nichts aus, schrubbte er das splitternde Holz weiter. Aber die Jungen fanden Spaß daran, ihr höhnisches Spiel fortzusetzen. »Er versteht uns wohl nicht«, hörte er den Ältesten sagen. »Ist ja auch kein Wunder, seine Mutter macht schließlich ganz andere Weiberarbeit.« Wieder erntete er schallendes Gelächter.
»Keelin, der Hurensohn!«, rief ein Hagerer mit hoher Stimme und unterstrich die Worte, indem er seinen Unterkörper in eindeutiger Pose nach vorn streckte und kreisen ließ. Dabei stöhnte er lustvoll und verdrehte die Augen. »Wusstest du eigentlich, dass der Wirt sie jeden Abend besteigt, damit sie ihm das Entgelt für eure verlauste Bleibe …«
»Ihr …!« Keelin ließ die Bürste fallen und sprang auf. Es kümmerte ihn nicht, dass er ein Bastard war, und er wusste sehr wohl, dass die Jungen die Wahrheit sagten. Doch er konnte und wollte nicht zulassen, dass man seine Mutter derart verhöhnte. Mit bloßen Fäusten ging er auf die Spötter los.
Diese wichen lachend zurück und taten so, als hätten sie Angst vor ihm. Doch dann rauften sie sich zum Angriff zusammen. Zwei packten Keelin von hinten an den Armen und hielten ihn fest, während ihm der Älteste die Faust mit voller Wucht in den Bauch rammte. Es folgen Hiebe und Tritte, die ihm zeitweise die Besinnung raubten. Sie traten ihn selbst dann noch mit Füßen, als er bereits am Boden lag und sich nicht mehr rührte. Als sie sich endlich an ihm ausgetobt hatten, entleerten sie erst sich selbst und dann einen Eimer mit stinkendem Fischwasser über ihm und schlenderten achtlos davon …
Keelin hustete und fuhr erschrocken in die Höhe. Das kalte Wasser auf dem Gesicht und der durchdringende Rauchgeruch machten ihn glauben, er befände sich noch immer am Hafen von Sanforan. Doch dann erkannte er den Irrtum, und die schmerzliche Erinnerung rückte in weite Ferne.
»Den Göttern sei Dank, du lebst.« Bayard hockte mit einem Wasserschlauch in der Hand neben ihm und verzog das bärtige Gesicht zu einem erleichterten Grinsen. »Ich fürchtete schon, dein Heldenmut hätte dich das Leben gekostet.«
»Was ist mit … Wie geht es ihr?« Keelin schaute sich besorgt um.
»Die Heilerin kümmert sich um sie«, erklärte Bayard. »Sie ist in guten Händen.«
»Und die Uzoma?«, wollte Keelin wissen.
»Tot. Alle tot!«
»Gut.« Erleichtert ließ sich Keelin auf die harte Erde zurücksinken und schloss die Augen. Doch etwas an Bayards Worten sagte ihm, dass es noch etwas gab, was der Heerführer ihm verschwiegen hatte, und er setzte sich wieder auf. »Was ist?«
»Marnin ist tot.« Ein Schatten huschte über Bayards Gesicht. »Hinun ist schwer verwundet.«
»Verdammt.« Keelin ballte die Fäuste. »Wie konnte das geschehen? Wir waren in der Überzahl.«
»Hier!« Bayard hob zwei Messer vom Boden auf und reichte sie Keelin. »Einer der Uzoma trug sie bei sich«, erklärte er. »Darauf waren wir nicht vorbereitet.«
»Wurfmesser.« Keelin zog erstaunt eine Augenbraue in die Höhe. »Ich habe noch nie gehört, dass Uzoma mit Wurfmessern kämpfen.«
»Eine neue Teufelei.« Bayard nickte. »Hinterhältig und tödlich.«
»Heermeister!« Ein Krieger eilte herbei und berührte Bayard an der Schulter. »Kommt schnell«, bat er. »Hinun … Es steht nicht gut um ihn.«
Augenblicklich war Bayard auf den Beinen und folgte dem Krieger zu der reglosen Gestalt, die nur wenige Schritte entfernt am Boden lag. Keelin sah, wie er niederkniete und die Hand des Mannes ergriff, um ihm Trost zu spenden. Dann erblickte er die Heilerin, die im Schatten eines Mauerrestes neben der jungen Frau auf dem Boden saß.
Die Gefangene! Er musste wissen, wie es ihr ging.
Obwohl die Kraft noch nicht vollends in seinen Körper zurückgekehrt war, erhob sich Keelin mühsam und eilte mit unsicheren
Weitere Kostenlose Bücher