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Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin

Titel: Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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rissen das Fleisch, Blut schoss hervor …
    Atemlos beendete Keelin die Verbindung zu dem Falken, um das Tötungsritual nicht länger miterleben zu müssen. Wie immer, wenn Horus Beute schlug oder die Ätzung aufnahm, wurde ihm auch diesmal übel. Daran konnten auch fünf Winter harter Ausbildung nichts ändern. Der Geschmack von warmem Blut war ihm zuwider, aber er hatte gelernt, die Verbindung zu unterbrechen, bevor die Übelkeit ihn übermannte.
    Im selben Augenblick, als das Bild in seinem Geist erlosch, wurde das Mädchen von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt. Fürsorglich schob Keelin ihr einen Arm unter den Nacken und richtete sie auf, damit ihr das Husten leichter fiel. Tatsächlich trat schon bald Linderung ein, und als er sie wieder auf das Lager betten wollte, schlug sie die Augen auf.
     
    Das Erste, was Ajana sah, als ihr Blick sich klärte, waren zwei dunkelbraune Augen, die sie aufmerksam musterten. Im ersten Augenblick dachte sie, es sei einer der Krieger, die sie gefangen genommen hatten. Ängstlich zuckte sie zusammen, doch dann erkannte sie den Irrtum, und die Furcht wich einem hilflosen Gefühl der Unsicherheit.
    Der junge Mann neben ihr schien nichts mit den grausamen Kriegern gemein zu haben, die sie verhört und gequält hatten. Seine Haut zeigte Spuren von Ruß und Asche und war sehr hell. Ein schmaler, dunkler und sorgfältig gestutzter Bart verlief an den Wangenknochen entlang bis hinunter zum Kinn und endete in zwei kurzen, sonderbar geflochtenen Zöpfen. Die Haare des Mannes waren ebenso dunkel wie der Bart. Über der Stirn wurden sie von einem dünnen, bunten Band gehalten und fielen ihm offen bis auf die Schultern herab. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, aber in seinen Augen erkannte sie Spuren von Verlegenheit.
    »Wo bin ich?« Die wenigen Worte lösten einen neuerlichen Hustenanfall aus.
    »In Sicherheit«, sagte der Fremde mit sanfter, wohlklingender Stimme und reichte ihr eine Schale mit Wasser, die sie dankbar annahm. In großen hastigen Schlucken ließ sie das kühle Nass die Kehle hinabrinnen, doch das überstürzte Trinken rächte sich alsbald, und sie musste erneut husten. Die Anstrengung jagte ihr einen reißenden Schmerz durch den Brustkorb, der die Erinnerung an die ausgestandene Folter schlagartig zurückbrachte. Die dunkelhäutigen Krieger, die Todesangst, das Messer …
    »Nicht so hastig!« Der Mann half ihr sich aufzurichten.
    »Danke!« Trotz ihrer Pein gelang Ajana ein Lächeln. »Es geht schon wieder.« Sie zog scharf die Luft ein und biss sich auf die Lippen, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken.
    »Du hast Schmerzen.« Ein Schatten huschte ihm über das Gesicht. »Du solltest noch ein wenig ruhen.«
    »Es ist nichts.« Ajana tastete mit einer Hand nach dem rauen Verband unter dem ungewohnten Stoff des Umhangs.
    »Die Uzoma haben dir schwer zugesetzt«, sagte der Fremde voller Mitgefühl und fügte bedauernd hinzu: »Wir kamen zu spät, um es zu verhindern.«
    »Uzoma?«, wiederholte Ajana nachdenklich. »Ja, so nannten sie sich.«
    »Verrätst du mir deinen Namen?«
    »Ajana.« Sie schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln. Obwohl sie ihn nie zuvor gesehen hatte, spürte sie, dass sie von ihm nichts zu befürchten hatte.
    »Ajana.« Der Name klang seltsam aus seinem Mund. »Ein schöner, aber befremdlicher Name. Ich heiße Keelin.« Der junge Falkner schaute Ajana erwartungsvoll an.
    »Auch ein schöner Name«, Ajana lächelte verlegen, »wenn auch nicht gerade alltäglich.«
    »Ein Name der Onur«, beeilte sich Keelin zu erklären, »Meine Mutter ist eine Onur, mein Vater ist vom Blute der Raiden.«
    Welchen Blutes bist du? Keelins Worte weckten in Ajana unangenehme Erinnerungen. »Onur«, murmelte sie nachdenklich und überlegte, wo sie den Namen schon einmal gehört hatte. Hatten ihre Peiniger nicht auch von den Onur gesprochen? Die Erinnerung an die dunkelhäutigen Krieger jagte ihr erneut einen eisigen Schauer über den Rücken. »Was ist mit denen geschehen, die mich gefangen nahmen?«, fragte sie leise.
    »Sie haben ihre gerechte Strafe erhalten.« Keelins Tonfall machte keine Hehl daraus, dass er ihnen dieses Schicksal gönnte.
    »Sind sie tot? Alle?« Ajana erschrak über die Kaltblütigkeit ihrer eigenen Stimme und schämte sich für die Genugtuung, die sie bei dem Gedanken verspürte, dass keiner ihrer Peiniger mehr am Leben war. Sie hätte es niemals für möglich gehalten, dass ihr der Tod eines Menschen gerechtfertigt erscheinen könnte.

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