Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
ich mir fast gedacht.« Faizah legte das weite Untergewand ab und stieg in das warme Wasser. »Deshalb bist du der Elbin ja auch nicht gefolgt, nicht wahr? Weil du neugierig bist. Du hast noch nie eine Uzoma … Warum starrst du mich so an?«
»Verzeih.« Ajana senkte hastig den Blick. Sie hatte nicht taktlos sein wollen, doch die vielen hässlichen Narben, die den Körper der junge Kurvasa verunstalteten, hatten sie so sehr in den Bann gezogen, dass sie alles andere darüber vergessen hatte.
Faizahs Rücken war von unzähligen langen und wulstig vernarbten Striemen bedeckt, die nur von Peitschenhieben stammen konnten. Auch auf den Armen und Schenkeln der jungen Frau waren ähnliche Narben zu sehen. Am meisten aber erschütterte Ajana der Anblick der nackten Brüste, die ebenfalls von Narben entstellt waren, und sie fragte sich, wer, um alles in der Welt, zu solchen Grausamkeiten fähig sein mochte.
»Hast du noch niemals Narben gesehen?«, fragte Faizah, der Ajanas entsetzte Blicke nicht entgangen waren. Es lag jedoch kein Vorwurf in ihrer Stimme. So zwanglos, wie sie sich Ajana gegenüber gab, schien sie auch mit ihrem entstellten Körper umzugehen.
»Wohl schon … aber …«, Ajana legte den Knochenkamm beiseite und suchte verlegen nach den richtigen Worten,»… aber nicht solche.« Sie empfand großes Mitleid für die junge Kurvasa, doch es war noch weit mehr als das. Die unerwartete Begegnung mit Faizah wirbelte das Bild, das sie sich bisher von den Uzoma gemacht hatte, mächtig durcheinander.
Für die Vereinigten Stämme waren die dunkelhäutigen Krieger nichts weiter als bösartige Kreaturen, die einem grausamen Gott dienten. Bayard, aber auch Keelin und die anderen hatten sie ihr stets als blutrünstige Barbaren geschildert, die Nymath vernichten wollten und jeden, der sich ihnen in den Weg stellte, grausam abschlachteten.
Ajana hatte solchen Schilderungen von Anfang an mit gemischten Gefühlen zugehört und vermutet, dass die Uzoma ihre Gründe hatten, für ihre Sache zu kämpfen. Doch nun, da sie Faizah von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, wurde ihr bewusst, wie sehr sie sich dennoch von der vorgegebenen Meinung hatte blenden lassen.
Faizah war gänzlich anders, als Ajana sich die Uzoma bisher vorgestellt hatte, und es drängte sie, mehr von dem ihr unbekannten Volk zu erfahren.
»Keine Sorge, du musst dich nicht schuldig fühlen«, hörte sie Faizah in ihre Gedanken hinein sagen. »Die Narben stammen nicht von deinem Volk und auch nicht von den Kriegern der Vereinigten Stämme.« Sie durchquerte den Weiher schwimmend, legte die Arme auf das Ufer und schaute zu Ajana auf. »Nicht immer sind es die Fremden, vor denen man sich fürchten muss.«
»Willst du damit sagen, dass Angehörige deines eigenen Volkes dir das angetan haben?« Ajana war ehrlich bestürzt. Der Gedanke, dass Faizah vielleicht eine Ausgestoßene war, die man für ein schlimmes Vergehen derart grausam bestraft hatte, schlich sich wie von selbst in ihr Denken, aber sie verwarf ihn gleich wieder und fragte nur: »Warum das?«
»Es ist eine lange und traurige Geschichte«, erwiderte Faizah. »Sie wird dir nicht gefallen.«
»Ich würde sie trotzdem gern hören.« Ajana machte sich gar nicht erst die Mühe, ihren Wissensdurst zu verbergen. Obgleich sie der jungen Uzoma eben erst begegnet war, hatte sie sie bereits ins Herz geschlossen. Es war ihr gleich, wie Inahwen darüber dachte und was die anderen dazu sagen würden, wenn sie erfuhren, dass sie mit einer Uzoma gesprochen hatte. Sie spürte, dass dies eine einmalige und wichtige Gelegenheit für sie war, und war fest entschlossen, diese zu nutzen.
»Also gut.« Faizah schwamm ohne Eile zurück, stieg aus dem Wasser und hüllte sich in das weiche Tuch. Dann kam sie um den Teich herum auf Ajana zu und setzte sich neben sie auf die Bank. »Sicher gibt es auch bei euch Legenden, die davon erzählen, wie alles begann«, sagte sie leise und fügte hinzu: »Ich weiß nicht, was die Legenden der Vereinigten Stämme darüber berichten, doch in meinem Volk erzählt man sich Folgendes: Damals war der Süden Nymaths bis hin zum weiten Wasser wie ein großes Haus, gebaut aus der Morgendämmerung, aus Blütenstaub und Regen. Nymath war ein Land, so alt und ewig, dass sich niemand mehr seines Ursprungs zu erinnern vermochte, aber es war immer noch so schön wie beim ersten Sonnenaufgang.« Faizahs Augen leuchteten, als sie Ajana von den Wundern des Landes erzählte, das ihre verlorene
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