Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
Zuversicht nicht teilen.« Sie verstummte und suchte nach den richtigen Worten. Gern hätte sie Inahwen ihre Zweifel anhand von Beispielen verdeutlicht, doch würde die Elbin wohl kaum viel mit ähnlichen Schicksalen der Völker ihrer Welt anfangen können. Inahwen wusste nichts über Indianer und deren Unterdrückung durch den weißen Mann und konnte sicher auch nicht nachvollziehen, was die Ureinwohner Australiens durchgemacht hatten, seit der erste Sträfling den Fuß auf ihr angestammtes Land gesetzt hatte. So blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Bedenken ganz allgemein kundzutun. »Seit wir vom Arnad aufbrachen, denke ich darüber nach, was ich getan habe«, erklärte sie etwas unbeholfen. »Wem bringt es Nutzen? Wem schadet es? Ist die Trennung der Uzomakrieger von ihrer Heimat wirklich ein Sieg? Oder habe ich damit Übles angerichtet?« Sie legte den Kamm beiseite und blickte die Elbin freimütig an. Sie war froh, endlich jemanden gefunden zu haben, dem sie sich anvertrauen konnte – jemanden, von dem sie das Gefühl hatte, ihm alles sagen zu können, was sie bewegte, seit sie die mächtige Magie beschworen hatte.
Ajana vertraute der Elbin, die so vieles ohne Worte zu verstehen schien, und war fest entschlossen, die Gelegenheit zu nutzen, um Inahwen das Herz auszuschütten. »Was ich getan habe, war kein Sieg!«, fuhr sie mit bebender Stimme fort. »Die Nebel über dem Arnad gewähren den Vereinigten Stämmen Nymaths einen willkommenen Aufschub, doch damit ist der Krieg noch lange nicht gewonnen. Auch in meiner Welt gab und gibt es ähnliche Konflikte zwischen den Völkern. Die Geschichte aber lehrt, dass Vertreibung und Unterdrückung niemals zu einem friedlichen Miteinander führen. Im Gegenteil – sie schüren nur den Hass und münden allzu oft in noch heftigeren Auseinandersetzungen.« Ajana seufzte tief »Oh, Inahwen, ich habe Nymath keinen guten Dienst erwiesen. Ich furchte, ich habe alles nur noch schlimmer gemacht …«
»Du hast getan, was dir kraft deines Blutes auferlegt war.« Inahwen blieb gelassen. Tröstend legte sie die Hand auf Ajanas Arm. »Du hast keinen Grund, dir Vorwürfe zu machen. Die Uzoma haben den Kampf aufgegeben. Sie …«
»Aber sie hatten ein Recht, für sich zu kämpfen. Versteht Ihr das nicht?«, warf Ajana leidenschaftlich ein. »Sie sind es doch, die einst aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Ist es da nicht verständlich, dass es sie verlangt, wieder dorthin zurückzukehren? Was hättet Ihr, was hätten die Vereinigten Stämme an ihrer Stelle getan? Hättet Ihr nicht auch versucht, Euer angestammtes Recht mit Gewalt zu erzwingen?« Ajana bemerkte, dass sie viel zu schnell sprach, und fühlte, wie sich ihre Wangen röteten. Doch das kümmerte sie nicht. Zu lange schon trug sie die Zweifel mit sich herum, zu lange schon brannten ihr die Fragen unbeantwortet auf der Seele, als dass sie die günstige Gelegenheit hätte verstreichen lassen können. Sie musste die Bürde ihres Erbes mir jemandem teilen, um nicht daran zu ersticken.
»Es ist alles falsch gelaufen«, sagte sie tief bewegt. »Der Krieg, die Nebel – alles! Auch die Geschichte dieses Landes. Die Uzoma hätten niemals in die Wüste verbannt werden dürfen. Es ist ihr Recht, in Nymath zu leben. Wenn man sich damals friedlich geeinigt hätte, wäre es niemals zu diesem verheerenden Krieg gekommen.« Sie ballte die Fäuste und sah Inahwen an. »Wisst Ihr, was ich glaube?«
Die Elbin erwiderte den Blick offen und ohne Tadel. Sie sagte nichts, doch die aufrichtige Anteilnahme und das Verstehen in ihren Augen gaben Ajana die Kraft, weiter zu reden. Ein letztes Mal schöpfte sie Atem, dann wagte sie endlich, den Gedanken auszusprechen, der sie schon so lange bewegte: »Ich glaube, dass es das Weben der Nebel war, das die Uzoma und damit auch die Vereinigten Stämme ins Unglück stürzte. Die Hoffnungslosigkeit und die Verzweiflung haben dem dunklen Gott den Weg in die Seelen der Uzoma geebnet. Versteht mich bitte nicht falsch, ich bin überzeugt, dass Gaelithil nur das Beste für alle wollte, doch am Ende war es ihr Handeln, das den dunklen Mächten Vorschub leistete.« Sie seufzte noch einmal und schaute dann betrübt zu Boden. »Ich habe getan, was mir infolge meines Blutes bestimmt war, doch ich fürchte, dass ich damit einen großen Fehler begangen habe.«
»Ich kann sehr gut nachfühlen, was dich bewegt.« Inahwen nickte verständnisvoll. »Aber du solltest nicht zu streng mit dir sein. Wir dürfen nie
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