Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
dem Arm kam die Wunandamazone auf Ajana zu. Ihr Gesicht war zorngerötet. »Ajana, bist du von Sinnen?«, stieß sie fassungslos hervor und warf Faizah einen vernichtenden Blick zu. »Sie ist eine Uzoma!«
»Sie ist eine Kurvasa !«, berichtigte Ajana sie mit einem ähnlichen Stolz in der Stimme, den sie zuvor bei Faizah vernommen hatte.
»Eine was?« Einen Herzschlag lang verschlug es Maylea die Sprache, dann machte sie eine wegwerfende Handbewegung und sagte: »Und wenn schon. Es ist mir gleich, wie sich die Stämme der Barbaren nennen. Sie ist eine Uzoma. Eine Barbarin, die …«
»Hüte deine Zunge, Humardin«, fuhr Faizah Maylea mit mühsam beherrschter Stimme an und erhob sich. »Dieser Weiher ist allen Frauen frei zugänglich. Er unterscheidet nicht nach Hautfarbe oder Blutsabstammung.« Sie richtete sich auf, und Ajana bemerkte erstaunt, wie groß sie war. Maylea war hoch gewachsen, doch Faizah überragte sie noch um einen halben Kopf. »Wir alle sind Gäste der Vaughn«, zischte sie der jungen Wunand gefährlich leise zu. »Wie die Vereinigten Stämme mit der ihnen erwiesenen Gastfreundschaft umgehen, ist jedem hinlänglich bekannt. Wir Uzoma hingegen wissen sie zu schätzen.« Damit wandte sie sich noch einmal Ajana zu. »Es war schön, mit dir zu reden«, sagte sie nun wieder freundlicher und lächelte. »Du bist angenehm anders. Ich hoffe, wir begegnen uns noch einmal …«, ihr Blick verdunkelte sich, und die Augen wurden zu schmalen Schlitzen, während sie Maylea, die sie hasserfüllt anstarrte, von oben herab musterte und mit deutlich gesenkter Stimme hinzufügte:»… allein.«
Die Sonne hatte ihren höchsten Stand noch nicht erreicht, als die Magun ihre Hütte verließ, um den langen und mühsamen Aufstieg in die Hochlagen des Pandarasgebirges zu beginnen.
An der Südflanke der Berge hatte es die ganze Nacht unaufhörlich geschneit. Ein heftiger Wind hatte die wirbelnden Flocken an der Rückseite der Hütte zu einer hohen Schneewehe aufgetürmt, die fast bis an das Dach heranreichte. Der Platz vor der Tür hingegen war so blank gefegt, dass die Magun sogar die braune Grasnarbe unter der dünnen Schicht aus Pulverschnee erkennen konnte, als sie hinaustrat.
Es war ein schöner Morgen. Mit der Dämmerung war das dichte Schneetreiben in ein feinkörniges Graupeln übergegangen und hatte schließlich ganz aufgehört. Die Luft war kühl und frostklar, und als sie die Tür hinter sich schloss, brach ein erster Sonnenstrahl durch die Wolken.
»Nun, dann wollen wir mal«, ermunterte sie sich, griff nach dem Paar ovaler Schneeschuhe aus geflochtenem Pacunussholz, das neben der Tür an einem Haken hing, und schulterte ihren Proviantbeutel. Mit einem raschen Blick vergewisserte sie sich, dass die Futterkrippe für die Burakis ausreichend mit Heu gefüllt war und genügend Körner für die hungernden Vögel unter dem schützenden Dach des baufälligen Holzschuppens ausgestreut waren. Dann schnallte sie die Schneeschuhe fest, nahm ihren geschnitzten Stab zur Hand und machte sich auf den Weg.
Mit gleichmäßigen und für ihr Alter erstaunlich kraftvollen Schritten stapfte sie über den lockeren Pulverschnee hinweg nach Norden, dorthin, wo hoch oben in den Bergen das immergrüne Tal des kleinen Volkes lag.
Bei dem Gedanken an die milden Temperaturen, die dort das ganze Jahr über herrschten, entfloh der alten Frau ein sehnsuchtsvoller Seufzer. Obwohl sie die Nacht am wärmenden Feuer verbracht hatte, spürte sie noch immer die eisige Kälte in den Gliedern und schalt sich in Gedanken für ihren Starrsinn, der sie seit vielen Wintern davon abhielt, den Einladungen der Vaughn zu folgen.
Ylva hatte sie schon mehrfach aufgefordert, den Winter in den warmen Gefilden des kleinen Volkes zu verbringen, doch die Magun hatte stets abgelehnt. Anzunehmen hieß alt zu sein, und obwohl sie schon Hunderte Winter in Nymath weilte und älter war als jedes andere Wesen, verhinderte ihr Stolz, sich ihre Schwäche einzugestehen.
Solange sie keine Not litt, solange sie noch sich selbst und ihre geliebten Tiere versorgen konnte und solange ihre altersmüden Beine sie den beschwerlichen Weg hinauf ins Tal trugen, würde sie auch den Winter über in ihrer Hütte bleiben.
Der Weg wurde immer steiler.
Schwer atmend verharrte die Magun auf der Stelle und gönnte sich eine kurze Rast. Jeder ihrer Atemzüge stieg in der windstillen Luft als kleine weiße Wolke zum Himmel auf, während die beißende Kälte in ihrer
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