Das Erbe der Uraniden
Sprachrohr.
»Kurs Süd zu Südost! Schneller die Fahrt!«
Jetzt kamen auch die anderen von allen Seiten herbeigestürzt. Sie hatten ebenfalls das ersehnte Ziel erspäht. Immer größer wurde die Erregung, immer ungezügelter die Spannung. Laute Rufe schwirrten durch den Raum. Kaum konnte man’s erwarten, daß die letzte kurze Strecke zurückgelegt würde. Noch lief das Raumschiff stark gebremst auf die Baumgruppe zu, da stießen schon einige die Türen auf und hielten die Treppen bereit, sie auf den Boden zu werfen.
Und dann stand das Schiff still. Ein Drängen, ein Schieben. Man vergaß Lee. Alles stürmte die Stufen hinab, eilte zu der Baumgruppe, dem Uranidenschiff.
Keiner wußte, wohin zuerst. Da stand das Zelt. Da waren noch die Lagerstätten, wo die Kranken geruht hatten. Da der Baum, in dessen Schatten der Sendeapparat jener Weltenfahrer stand.
Lee, der als letzter das Schiff verließ, blieb am Fuße der Treppe stehen. Sein Blick umfaßte die historische Stätte.
Hier also waren andere Menschen, von anderen Sternen, aus anderen Sonnensystemen gekommen, gelandet. Menschliche Wesen im Besitz weit vorgeschrittener Technik. Welche unendlichen Mittel mußten ihnen zur Verfügung gestanden haben, eine solche Fahrt zu unternehmen.
Die nächste Sonne, der Stern Alpha im Sternbild des Stiers, war mehr als vier Lichtjahre von der Erde entfernt… Was bedeutete dagegen die Fahrt des Jonas Lee von der Erde zur Venus über eine Strecke von kaum fünf Lichtminuten! Wie lange waren die Uraniden durch den Weltraum getrieben? Mit welchen Beschleunigungen, mit welchen Geschwindigkeiten hatten sie die unendliche Entfernung überwunden? Welch unvergleichliche Leistung! Welch unerhörter Wagemut!
Und hier angekommen, ihr Ziel, eine andere Erde, von Menschen bewohnt, vor den Augen… fast mit den Händen zu greifen… hier mußten sie scheitern, sterben?
Langsam näherte Ronald Lee sich der Baumgruppe. Sein Auge glitt prüfend über die Gegenstände, die da lagen. Wie lange war es her, daß lebendige Wesen hier weilten.
Waren sie gestorben? Wo waren ihre Leichen? Mochte der letzte die Toten noch begraben haben… wo war er? Wo war sein Leichnam?
Allmählich hatte sich die Erregung seiner Gefährten gelegt. Einer nach dem anderen kam herbei, berichtete, was er gesehen, zeigte einzelne Gegenstände, die er gefunden hatte. Lee schüttelte den Kopf, wies sie zurück.
»Nicht diese unwichtigen Dinge! Suchen wir nach Menschen, mögen sie lebendig oder mögen sie tot sein.«
Er zog die vergrößerten Filmbilder aus der Tasche, sah lange auf eines und suchte mit dem Glase die Gegend im Osten ab.
Hier war die Schlucht, dort der Hang mit den kleinen Hügeln. Da, etwa einen halben Kilometer entfernt, mußte die Stelle liegen.
Er winkte Professor Royas und Ricardo Stamford zu sich und schritt mit ihnen in der Richtung nach der Schlucht. Er hörte nur mit halbem Ohr auf das unaufhaltsame Plaudern Ricardos. Seine Augen waren unverwandt auf den Hang gerichtet.
»Zwölf kleine Hügel, von Osten nach Westen geschüttet.« Je näher er kam, je schneller wurde sein Schritt. Fast lief er das letzte Stück, stand dann an dem letzten der Hügel. Mechanisch ging seine Hand nach oben. Er entblößte sein Haupt und verharrte einen Augenblick. Seine Hände strichen über die Erde und zerrieben sie zwischen den Fingern.
Regen war nicht gefallen. Die Gegenstände unter dem Baum bewiesen es. Und doch, der Boden hier war feucht, frisch, wie erst vor kurzem aufgeworfen…
Der letzte hier begraben? Nein! Einer noch mußte leben, oder war er irgendwo zusammengesunken, an einem versteckten Ort? Dann mußte sein Leichnam noch da sein…
Das Bild jenes letzten – er riß es aus seiner Tasche. Hier war es, das wunderbare Antlitz. Immer wieder hatte er sich in die Züge dieses edlen Kopfes versenkt. Diese hohe Stirn mit dem hellen Haar. Dieses breite, energische Kinn, von starkem Haarwuchs umwuchert. Diese großen, ausdrucksvollen Augen… Waren sie geschlossen? Ruhten sie hier unter diesen Erdschollen?
Nein! Es war nicht möglich. Es konnte ja nicht sein. Der Mann hätte sich ja selbst begraben müssen, wenn er tatsächlich der letzte war.
Und doch! Es war etwas in Ronald Lee, das ihn nicht loskommen ließ von dem Gedanken: hier ist das Grab des letzten der zwölf! Hier ist das Grab des Mannes, den das Bild in seiner Hand darstellte.
Er wandte sich zurück zu Ricardo.
»Lassen Sie die anderen nicht näher herankommen. Es genügt, wenn Sie
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