Das Erbe der Uraniden
er sich um und schritt in der Richtung, die ihn zum Lager führen mußte. Ein paar Stücke undurchdringlichen Unterholzes zwangen ihn, den Bogen nach Norden größer zu nehmen, als er es vorgehabt hatte. Er mußte sich beeilen, wenn er noch vor Sonnenuntergang den Lagerplatz erreichen wollte.
Auf einer kleinen Höhe angelangt, suchte er mit dem Glas den Standort des Lagers zu erspähen. Der schimmernde Riesenbau des Uranidenschiffes gab ihm einen guten Anhaltspunkt. Eben setzte er den Fuß an, seinen Marsch fortzusetzen… da spürte er einen Schlag, als hätte ein starker Ast seinen Kopf gestreift.
Noch glaubte sein Ohr den nachhallenden Knall eines Schusses zu hören… dann schwanden ihm die Sinne. Er stürzte zu Boden.
*
»Unmöglich, daß Lee den Weg verfehlt hat!« sagte Ricardo, der schon längst zum Lager zurückgekehrt war. »So viele Anhaltspunkte in der Gegend zeigen ihm die rechte Richtung. Er muß irgendwie verunglückt sein.«
Auch die anderen mußten jetzt die Wahrscheinlichkeit seiner Mutmaßung zugeben. In drei Kolonnen zu je zwei Mann begab man sich auf die Suche. Doch nicht lange, dann mußte man sie abbrechen. Die Dunkelheit machte weiteres Nachforschen unmöglich.
Das Ungewöhnliche ihres Tuns war in Cannings Lager bemerkt worden. Man zeigte ungeheuchelte Teilnahme. Oberst Robartson und ein paar andere schlossen sich den Suchenden an. Die Nacht verging unter bangem Harren.
Kaum, daß der Morgen graute, ging man erneut auf die Suche. Schon bald war es den Brüdern Stamford als geübten Jägern gelungen, Lees Spuren zu finden. Und dann dauerte es auch nicht lange, so fanden sie ihn.
Sie fanden ihn… Doch wie fanden sie ihn? Er lag da, auf weichem Moos gebettet, den Kopf umhüllt von weißen Binden. Neben ihm eine Flasche mit einer Medizin.
Lee war anscheinend in tiefem Schlaf. Seine Brust hob sich in gleichmäßigen Atemzügen.
Was war mit Lee geschehen? Wer hatte ihn hier verbunden, niedergelegt? Die Arznei, von wem war sie?
Sie sahen einander an. Ratlos, fragend… sie wagten nicht, näher heranzutreten. Die Brüder schauten sich scheu um. Unheimlich war alles, so jeder Erklärung spottend. Uraniden? schwebte es jedem auf den Lippen, doch keiner sprach es aus.
Von der anderen Seite her näherte sich die Kolonne, der sich Oberst Robartson angeschlossen hatte. Dieser rief ihnen zu. Sie wagten nicht zu antworten. Ricardo Stamford zog behutsam das Tuch aus der Tasche und winkte den Männern der anderen Gruppe kurz zu. Sie kamen näher und riefen. Keine Antwort. Die anderen beschleunigten ihre Schritte. Robartson kam als erster die Anhöhe hinangeeilt.
»Mr. Stamford!« rang es sich endlich von seinen Lippen, »was ist mit Ihnen? Was ist mit Lee passiert?«
Ricardo schüttelte den Kopf, flüsterte leise. »So fanden wir ihn. Er ist verwundet. Wodurch, wissen wir nicht… Jemand hat ihn gefunden, hat ihn verbunden und die Arznei gegeben… die Flasche ist halb leer. Er ist wohl lange bei ihm gewesen und hat bei ihm gewacht. Niemand von uns war hier in der Nacht… Und Sie…« Er sah Robartson fragend an.
»Wir waren auch alle zusammen im Lager. Keiner hat es verlassen.«
»Uraniden!« Von den Lippen des jüngsten der Brüder kam das Wort.
»Uraniden?« Der Oberst sprach das Wort mechanisch nach. »Wenn es kein Gott war, nur Uraniden können es gewesen sein.
Aber warum sind sie fortgegangen? Weshalb fliehen sie uns? Sie müssen doch wissen, daß wir hier sind. Furcht? Nein, das kann es nicht sein. Rätsel über Rätsel.«
»Wir müssen Lee ins Lager bringen«, sagte jetzt Ricardo Stamford. »Die Sonne steigt, der Tag verspricht heiß zu werden. Der Verwundete wird Fieber haben. Eilen wir! Professor Royas wird die Pflege übernehmen.«
Schnell hatten sie aus starken Zweigen eine Bahre geflochten, legten den Verwundeten behutsam darauf und trugen ihn ins Lager.
Groß war die Aufregung, als alle von dem sonderbaren Vorgang erfuhren. Professor Royas betrachtete lange die Arzneiflasche. Er hatte den Inhalt nach Geschmack und Geruch geprüft. Es war ein bekanntes Fiebermittel. Doch kein Zeichen daran. Nichts verriet seinen Ursprung.
Gegen Mittag wachte Lee aus seinem Schlaf auf, doch das Bewußtsein war noch nicht zurückgekehrt. Royas glaubte den Verband erneuern zu müssen. Er entfernte die Binde und staunte. Es war offenkundig, daß der Verband von den geübten Händen eines Arztes angelegt war. Der Charakter der Wunde war nicht mit Sicherheit festzustellen. Er flößte Lee etwas
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