Das Erbe der Uraniden
Robartson aufmerksam an. »Genau kann ich es nicht sagen. Es kann wohl die sechste Nachmittagsstunde gewesen sein.«
»Gut, Mr. Lee! Ihre Worte geben mir eine gewisse Erleichterung. Ich weiß genau, daß zu Anfang der siebenten Nachmittagsstunde in unserem Lager alles versammelt war. Ich lege Wert auf diese Feststellung, um nicht den Gedanken aufkommen zu lassen, irgend jemand unserer Expedition könnte mit dem Unglücksfall in Verbindung gebracht werden.« –
War es die Freude des Wiedersehens, war es Gleichgültigkeit… Lee zeigte wenig Lust, das Gespräch in dieser Richtung fortzusetzen. Er wandte sich zu Hortense, Violet und van der Meulen.
Eine Menge Fragen hatte jeder auf dem Herzen. Die anderen zogen sich aus dem Zelt zurück. Bis Professor Royas sein energisches Veto einlegte, saßen die vier Glücklichen zusammen.
»Schlaf ist das beste Mittel, Mr. van der Meulen. Lassen wir ihn jetzt ruhen. Will’s Gott, wird ihn der morgige Tag frisch und munter sehen. Vielleicht kann er sogar aufstehen. Die Verwundung ist ohne Bedeutung. Der Knochen ist kaum verletzt. Nur der starke Blutverlust hat ihn so geschwächt.«
Sie traten beide vor das Zelt. »Allerdings, Mr. van der Meulen… ich wollte das nicht in Gegenwart der jungen Damen sagen: Wäre nicht rechtzeitig Hilfe hinzugekommen, würde er sich vielleicht verblutet haben. Die Stirnschlagader ist verletzt.«
»Und wie erklären Sie diese, ich möchte sagen, unglaubliche Tatsache, die den Vorfall noch rätselhafter macht, daß irgend jemand, ein Fremder, dazugekommen ist, ihn verbunden und gepflegt hat?«
»Von den vielen Rätseln, die uns hier oben schon begegnet sind, ist das das größte. Die Häufung der Ereignisse hat mir noch nicht Zeit gelassen, viel darüber zu grübeln. Und doch ist es natürlich von größter Wichtigkeit, zu wissen, wer das gewesen ist. Doch wer es auch sei, wenn er sich im verborgenen halten will, ist es unnütz, nach ihm zu suchen. In diesen riesigen unbekannten Gebieten ist ein Forschen aussichtslos.« –
Die Mitternachtsstunde war gekommen. Hortense und Violet saßen am Lager Lees und wachten über seinen Schlaf. Professor Royas und van der Meulen, die eine lange Besprechung mit General Serrato gehabt hatten, traten ein. Professor Royas ging an das Lager Lees heran. Die leichte Fieberröte machte ihm im stillen etwas Besorgnis. Er wollte ihm einen kühlen Trank einflößen, da schlug Lee die Augen auf. Mit Mühe schien er die, die um ihn saßen, zu erkennen.
Royas reichte ihm das Glas. Er trank es gierig leer. Sein Blick wurde klarer, er nickte allen freundlich zu und sank dann wieder zurück. Im Glauben, Lee, der völlig wach lag, eine angenehme, belebende Nachricht zu geben, begann van der Meulen zu erzählen… von dem ungeheuren Aufsehen, das Lees Fahrt auf der Erde gemacht hatte, von dem großen Rätselraten über den Verbleib der Hinterlassenschaft der Uraniden…
Lee nickte lächelnd. Dann plötzlich krauste sich seine Stirn. Die Augenlider zogen sich zusammen. Man sah, er dachte angestrengt über etwas nach. Dann begann er zu sprechen.
»Uraniden… das Rätsel ihres Endes… ich weiß alles… Einer hat es mir gesagt, hat mir alles erzählt…«
Alle Blicke gingen zu Royas, sahen diesen ängstlich forschend an. Lee schien in starkem Fiebertraum zu sprechen. Der Professor fühlte seinen Puls und schüttelte den Kopf. Seine Mienen deuteten an, daß das Fieber nicht gestiegen sei. Lee sprach weiter.
»…Als ich da lag, wo man mich fand… in der Nacht… die Kühle der Nachtluft hatte mich erweckt… ich habe es nicht geträumt… Ein Mann kniete neben mir. Er reichte mir die Arznei, legte die Hand auf meine Stirn und sprach zu mir. Er wußte, wer ich war. Er wußte von dem Schicksal unserer Fahrt, wußte auch von den anderen…
Dein Suchen ist vergeblich… Du suchst die Uraniden… suchst ihren Schatz… die Welt… einmal schon lohnte sie ein großes Geschenk der Natur mit Undank. Verwandelte in Fluch, was zum Segen bestimmt war. Der Uranidenhort in Menschenhand… das Unheil wäre noch größer geworden…
Ein anderer hat ihn gehoben. Er ist unerreichbar für dich und für euch alle. Einer Menschheit, die würdiger ist als ihre Vorfahren, wird einst in eigener Arbeit das hohe Ziel zufallen. Und daß du nie zweifelst an dem, was dein Ohr gehört hat, wird dein Auge schauen, was geschehen ist.
Da stand plötzlich das Lager der Uraniden vor meinen Blicken. Vor dem Zelt, in dem ich hier Hege, steht eine
Weitere Kostenlose Bücher