Das Erbe der Vryhh
grün und schön es hier ist! Doch tritt einmal an den Rand des Domes heran und blicke über die Barriere hinaus. Dann wirst du Staub und Tod sehen, eine Sonne, die gnadenlos auf ein ausgedörrtes Land herabbrennt. Hyaroll ruft nicht mehr den Regen für uns, und er saugt das restliche Wasser aus dem Boden, damit seine Bäume wachsen können. Unsere Kinder hungern und dürsten, unsere Pflanzen und Tiere sterben. Vor sechs Tagen, o Willow, fand sich mein Partnerschaftszirkel am Komkiosk ein. Er verläßt das Hochland, Willow, läßt mich hier zurück.
Er nimmt unser jüngstes Kind und auch die anderen vier Kinder mit und begibt sich ans Ende der Welt. Bliebe er hier, würde er sterben. Ich trat an Hyaroll heran und bat ihn darum, mich mit meinen Zirkelbrüdern und -Schwestern gehen zu lassen. Er weigerte sich. Ich flehte ihn an. Er lehnte ab. Ich bat ihn wieder und immer wieder, bis er nicht mehr dazu bereit war, mich anzuhören, bis er sein Haus nicht mehr verließ, um mich zu meiden. Eben habe ich ihn erneut gefragt, und du hast seine Reaktion gesehen.« Amaiki hielt inne, beruhigte sich und fuhr leiser fort: »Wenn ich den Dom verlassen könnte, wäre ich noch dazu imstande, zu meinen Brüdern und Schwestern der Liebe aufzuschließen. Inzwischen segeln sie längst über den weiten Istenger-Ozean, aber irgendwie gelänge es mir, ihnen zu folgen. Sie versprachen, Hinweise zurückzulassen, um mir zu zeigen, welchen Weg sie nahmen. Ja, ich könnten sie finden, wenn es nur eine Möglichkeit für mich gäbe, die Barriere zu durchdringen. Ich muß … ich muß … ich …«Ihre Stimme schwankte, als sie einmal mehr um ihre Selbstbeherrschung rang.
Die Finger bewegten sich unruhig und beschrieben Gesten, die Willow als Zeichen dafür interpretierte, wie sehr sich Amaiki für ihre Maßlosigkeit verabscheute - beziehungsweise das, was sie für Maßlosigkeit hielt.
Willow zwinkerte und sah zum Energieschild des Domes hoch, dem schwachen Schimmern, das vor dem Hintergrund des hellen Himmels nahezu unsichtbar wurde. »Hyaroll gegangen ist, aber sicher Ohren er zurückließ.« Sie senkte den Kopf und musterte das Gesicht Amaikis, berührte ihre eigenen Ohren, ließ die Hände wieder sinken und faltete sie wie in einem Krampf zusammen. Sie gab ein kurzes Zischen von sich und breitete die Arme aus. »Vor Zeit langer hatte ich einen Gatten, einen Otter-Mann. Vor Zeit langer brachte ich meine Tochter Spatz zur Welt, die singt bevor spricht sie. Vor Zeit langer ich gebar Maus, mein Sohn-Kind, meinen unruhigen Nörgler. Und bevor er lernte laufen, bevor …« Willow schlang die Arme um sich und wippte auf den Zehenspitzen vor und zurück. »Bevor er lernte laufen, als er noch war ein Säugling, brachte Hyaroll fort mich. Ach, ai, ach, ay-yii, mein Maus. Da nicht mehr, nicht mehr.« Sie straffte den Rücken und ließ die Arme sinken. »Kann nicht zurück ich. Aber du - ha!« Willow hob die eine Hand, formte sie wie eine Klinge und hieb damit auf etwas Imaginäres ein. »Er! Er macht es nicht wieder. Ich bringe dich nach draußen.« Sie sah Amaiki an. »Weiß nicht wie. Noch nicht.« Sie drehte sich um. »Kommst mit du?«
Willow erzählte die Geschichte mit Händen, Füßen und ihrem ganzen Körper, während Amaiki ruhig auf einem der Felsen saß. Bodri schnitt ein finsteres Gesicht und widerstand dem leidenschaftlichen Beharren Willows mit entschlossener Eigensinnigkeit.
Immer wieder erinnerte er daran: Wenn wir ihr helfen, Flüstern im Wind, so bringen wir den Alten Vryhh dadurch möglicherweise gegen uns auf; soll sie warten; ihre Zeit kommt, wenn wir bereit sind, etwas gegen den Alten Vryhh zu unternehmen; wenn wir siegen, bringen wir sie nach draußen; sie soll warten, sagte Bodri: wir dürfen nicht den Argwohn Hyarolls erwecken; es ist sicherer, wenn er außer Gefecht gesetzt ist, ja, viel sicherer.
Doch diese Antworten verstärkten nur die temperamentvolle Entschlossenheit Willows. In gewisser Weise handelte es sich bei den Dingen, mit denen sie sich derzeit beschäftigten - den Pfeilen, die Willow zurechtschnitt, dem Bogen, den sie später anfertigen wollte, den Gebräuen Bodris, den Erkundungen Sonnenkinds, auch seinen kleinen und nützlichen Diebstählen -, um nichts weiter als Spiele, mit denen sie sich die Zeit vertrieben und selbst etwas vormachten. Sie beschäftigten Körper und Geist und sprachen über die bevorstehenden Aktionen, lenkten sich damit aber nur von ihrer Hilflosigkeit und der Erkenntnis ab, daß alles
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