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Das Erbe der Vryhh

Das Erbe der Vryhh

Titel: Das Erbe der Vryhh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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und nahm seinem Kameraden das Gewehr aus den kraftlos gewordenen Händen. Er schlenderte auf das Lagerhaus zu, lehnte sich mit betonter Beiläufigkeit an die eine Ecke und beobachtete Shadith unauffällig. Sie trat an ihn heran. »Uns knurrt der Magen«, sagte sie. »Wollt ihr uns vielleicht verhungern lassen?«
    Der Mann musterte sie aus trüben Augen und brummte. Als Shadith nicht fortging, erwiderte er: »Ihr bekommt dann etwas zu essen, wenn auch wir eine Mahlzeit einnehmen.«
    »Und wann, o Prinz der Beredsamkeit, wird das soweit sein?«
    »Wenn wir unser Ziel erreichen.«
    »Prächtig. Hast du etwas dagegen, wenn ich die Rationspakete aus der Tasche hole? Wie ich sehe, habt ihr unsere Ausrüstung mitgenommen.« Sie deutete auf den Haufen neben Linfyar.
    »Außerdem erinnerst du dich vielleicht daran, daß wir schon seit einer geraumen Weile nichts mehr zwischen die Zähne bekommen haben.«
    »Versuch keine Tricks.«
    »Käme mir nie in den Sinn, o König aller Schlauköpfe. Meine Güte, ich weiß nicht einmal, wo wir uns hier befinden.«
    Der Mann brummte erneut und schloß die Hände fester um das Gewehr, der Lauf bewegte sich und zeigte auf Shadith.
    Sie entschied sich, sein Schweigen als Zustimmung zu interpretieren, und ging von ihm fort, wobei sie sich betont langsam bewegte, so daß der Wächter nicht noch mißtrauischer wurde, als er es ohnehin schon war. Neben den Taschen in der Nähe Linfy-ars kniete sie nieder und durchsuchte sie, bis sie das honigsüße Konfekt fand, das der Junge so sehr mochte. Sie holte es hervor und hockte sich zu Boden. »Offenbar wollen die Männer noch einen anderen Ort erreichen, bevor sie ihr Nachtlager aufschlagen.«
    Linfyar nickte. »Habe es gehört«, sagte er.
    Über die Schulter hinweg blickte Shadith auf die graue Wasserfläche der Bucht. »Sich beeilen und dann warten«, flüsterte sie.
    »Der militärische Geist ist überall derselbe, ganz gleich, mit welcher Spezies man es zu tun bekommt.«
    »Hm?«
    »Schon gut. Ich bin nur sauer, das ist alles.«
    Sie sank zurück und grübelte: Taggert, wo bist du jetzt? Auf welche Weise näherst du dich dem Ziel? Nun, angesichts meiner derzeitigen Lage ist es vielleicht ganz gut, daß ich nichts weiß. Ob er sich bereits dem Schlupfwinkel des Ajin nähert? Möglicherweise hat er Grey und Ticutt schon befreit, bevor ich auch nur in die Nähe des Ortes gelange, wo man sie gefangenhält. Und wenn ich an mein Glück denke . . . Vermutlich will mich der Ajin gar nicht zu seiner Agitatorin machen, sondern sich von mir Schlaflieder vorsingen lassen. Oder er beauftragt mich mit anderen, ähnlichen wichtigen Pflichten.
    Und der lange Tag neigte sich allmählich dem Abend entgegen.
    Kurz nach Sonnenuntergang war in der Stille das leise Surren eines Motors zu hören. Es verging nur kurze Zeit, und dann stieß ein breites Boot an den schwankenden Pier. Ein großer Mann sprang auf die Planken, offenbarte damit eine kraftvolle Eleganz, mit der er all diejenigen zu beeindrucken versuchte, die ihn beobachteten. Shadith unterdrückte ein Kichern. Der Auftritt des Ajin.
    Entzückend.
    Er trat auf Shadith zu und starrte auf sie herab. Sie bezweifelte, ob er viel erkennen konnte:
    Der Himmel war bewölkt, und nirgends schimmerte Licht.
    Nicht einmal ein Lagerfeuer brannte. Sie blickte auf, nickte und sah zur Seite.
    Er beugte sich näher heran, griff nach dem Haar Shadiths, zwang ihren Kopf in den Nacken, musterte ihr Gesicht, ließ sie wieder los und wich einen Schritt zurück. »Manjestau.«
    Ein kleiner und drahtiger Mann eilte aus der Dunkelheit heran.
    Shadith erkannte ein schmales Gesicht mit scharfgeschnittenen Zügen, eine Miene, die sie jetzt zum erstenmal sah.
    »Bist du ganz sicher, daß dies das richtige Mädchen ist?«
    »Ich habe ihrem Gesang zugehört.«
    »Aber sie ist doch nur ein Kind.«
    »Sie trat zusammen mit dem Biest auf.«
    Der Ajin näherte sich Linfyar. »Warum das Seil?«
    »Damit es nicht wegläuft. Wir haben uns gedacht, ohne ihr Monstrum ergriffe sie bestimmt nicht die Flucht.«
    »Wie gut ist sie?«
    »Ziemlich gut. Sie hatte auf mich die gleiche Wirkung, und ich war vorbereitet.«
    »Interessant.« Der Ajin wanderte um Linfyar und Shadith herum. »Wie lange dauerte es, um eine größere Menge zu beeinflussen?«
    »Drei oder vier Minuten.«
    »So schnell ging es?«
    »Ja.«
    »Und den Betreffenden offenbaren sich die gleichen Visionen?«
    »Ja, soweit sich das feststellen ließ. Ich wollte nicht zu viele Fragen

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