Das Erbe der Vryhh
verschwommen. Er glaubte sich nur daran zu entsinnen, daß Hyaroll seinen Körper gewissermaßen als Waffe gegen ihn einsetzte, daß der Leib ihm nicht mehr gehorchte, wenn jener Gehorsam sein Leben in Gefahr brachte. Nach einer Weile gab er sich mit den wenigen Ausflügen in die reale Existenz zufrieden, die Hyaroll ihm gönnte, und nur selten sehnte er sich nach mehr.
Sonnenkind zog in langsamen Kreisen über ihnen dahin, ein goldener Schemen, der in ständiger Veränderung begriffen zu sein schien, unsichtbar vor der glitzernden Sonne, selbst dann nur schwer zu erkennen, wenn er heruntersegelte, um über die nahen Büsche hinwegzugleiten oder über dem Zierteich zu schweben.
Er kam und ging und gab wie Willow und Bodri vor, sich nicht für die beiden Vrya und das zu interessieren, was zwischen ihnen vor sich ging. Und wie Willow und Bodri lauschte er aufmerksam ihren Worten, den ausgesprochenen und auch denen, die nicht formuliert wurden, beobachtete, wie die Frau mit energischer Empörung über den von der Sonne beschienenen Rasen marschierte, vor und zurück, auf und ab, vor Hyaroll, der sich nicht von der Stelle rührte. Die Stimme der Besucherin überschlug sich, wurde zu einem Schrillen, klang dann wieder leise, als sie sich zur Ruhe zwang. Sonnenkinds Blick galt auch Hyaroll, der der Frau mit seinem Schweigen Widerstand leistete, mit einem ausdruckslosen Gesicht.
Willow stellte das Tätowierungsmuster fertig und legte die Nadel beiseite. Sonnenkind flog heran und landete neben ihr, wobei er wie üblich die Gestalt eines Otters annahm. Beim erstenmal war Willow zornig geworden und schalt ihn dafür, sich über ihren Kummer lustig zu machen. Dann hörte sie ihm skeptisch zu, als er ihr erklärte, es bliebe ihm gar keine andere Wahl; er habe dieses körperliche Bild von ihr selbst empfangen, und es sei zu ausgeprägt, als daß er sich ihm widersetzen könne. Sie sah zu, wie er versuchte, sich ihr in einer anderen Gestalt zu präsentieren, beobachtete, wie die Konturen seines Ottergesichts warmer Butter gleich schmolzen und sich sofort darauf wieder verfestigten. Geh fort, sagte sie ihm. Ich glaube dir; aber geh jetzt für eine Weile fort.
Willow stülpte sich kurz die Hände vor die Augen, ließ sie sinken, um Nase und Mund damit zu berühren, streckte anschließend die Arme nach dem unsteten Glimmen Sonnenkinds aus. Bist du ein Geist? fragte sie. Nein, sagte er, und auch kein Dämon. Nur ich selbst. Ja, geh fort, sagte Willow, laß mich darüber nachdenken, auf daß mir ein Lied in den Sinn kommt. Laß es mich zusammen mit dir singen, sagte er. Ich bin ein einsames Kind; laß es mich zusammen mit dir singen. Noch nicht, erwiderte sie, mein Kummer ist noch nicht überwunden. Gib mir Zeit, um zu trauern, Zeit, meine Kinder zu beklagen.
Gib mir sieben Tage, Sonnenkind. Dann werde ich dich lehren, mit mir zu singen.
Er kauerte nun neben ihr und blickte ernst auf die blauen Linien, die sie sich gerade in die Haut gestochen hatte, beobachtete die Doppelspirale des Sonnenherzens und der geneigten Wellenlinien, das Wasser des Kummers, das Strahlen der Freude. Er preßte seine breiten und starken Otterhände auf die gerötete Haut (Willow spürte nur ein ganz sanftes Prickeln), und er lächelte ein frohes Na, siehst du?, als sich die Rötung verflüchtigte.
Hinter Sonnenkind griff die Vryhh-Frau zu einer anderen Taktik. Sie trat dicht an Hyaroll heran, berührte ihn an Arm und sprach mit nun weicher und fast liebevoller Stimme auf ihn ein. »Bitte, lieber Paps, erfüll mir doch diesen Wunsch, hmm? Es ist gar nicht nötig, daß du dich näher mit ihr befaßt. Du brauchst nur nein anstatt ja zu sagen.«
»Geh jetzt.«
»Was?«
»Verschwinde.«
»Nein. Ich gehe erst, wenn ich eine Antwort von dir bekommen habe.«
»Die hast du bereits bekommen, und sie lautet ebenso wie die erste. Die vier werden Shareems Tochter als Vryhh anerkennen.«
Während dieser letzten Worte kam der Hyaroll dienende Eisenmann aus dem Haus und blieb dicht hinter seinem Herrn stehen.
Willow rieb sich den Oberschenkel und fragte sich, ob der Alte Steinerne Vryhh ihn gerufen hatte. Vielleicht wollte er dem Eisenmann den Befehl geben, die Frau zu ergreifen und sie fortzubringen, ohne ihren wütenden Tritten Beachtung zu schenken, ihren Schreien und Flüchen. Wäre sicher ein Erlebnis, so etwas zu beobachten, und außerdem geschah es ihr ganz recht. Ich werde diese Geschichte mit einem Lied erzählen, und bestimmt kichert und lacht Bodri,
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