Das Erbe der Vryhh
mehr Lichter glühten auf der Konsole, und Kolonnen aus Buchstaben und Zahlen wanderten über die Monitoren. Sie machte nicht den Versuch, die Daten zu verstehen, fragte sich nur kurz, ob ihr Übersetzungstrick bei kodierten Zeichen ebensogut funktionierte wie auch bei Worten und Sätzen fremder Sprachen. Ihr war nicht sehr viel daran gelegen, das jetzt sofort festzustellen. Sie hatte schon genug Kopfschmerzen.
Hyaroll griff nach dem Metallstreifen, der aus einem Schlitz unter dem Sensorpaneel herausglitt, und trat zurück. »Jetzt bist allein du die Herrin dieses Domes. Oder wirst es sein, wenn ich ihn verlassen habe.« Er reichte seiner Enkelin den fingerlangen und bläulich glänzenden Streifen. Gib gut darauf acht. Dies ist dein Schlüssel, für den Fall, daß du dich nach draußen begibst, jenseits der Sicherheitsbarrieren. Komm.« Er deutete auf die Membran, durchschritt sie aber nicht, sondern wartete auf Aleytys. »Du gibst nun die Anweisungen«, sagte er. »Befiehl dem Kephalos, mich passieren zu lassen.«
»Wie?«
»Sprich die Worte aus.« »Laut?«
»Wenn du möchtest. Es genügt auch, sie in Gedanken zu formulieren.«
»Ich verstehe.«
Hyaroll zögerte kurz, streckte dann die Hand aus, um die Beschaffenheit der Membran zu testen, und setzte sich schließlich in Bewegung. Er schritt jetzt wesentlich rascher aus als auf dem Weg hierher. Aleytys fluchte lautlos und eilte ihm nach.
Nach einiger Zeit erreichten sie den prächtigen großen Saal mit der breiten und hohen Tür, den verzierten Fenstern, deren Buntglasscheiben abstrakte Muster in scharlachroten und saphirblauen Tönungen zeigten, den zerfurchten Deckenbalken und geradezu gewaltigen Kaminen, den vielen Kronleuchtern. Aleytys kam sich hier wie die Protagonistin eines altertümlichen Heldendramas vor, und es gelang ihr endlich, zu Hyaroll aufzuschließen und ihn am Arm festzuhalten. »Warte.«
Er ging noch drei Schritte weiter und zerrte sie mit sich, bevor er verharrte und sie finster musterte. »Was ist denn?«
»Warum tust du das alles?«
»Ich beende etwas.«
»Was?«
»Das ist meine Sache.«
»Es geht auch mich etwas an, da ich davon betroffen bin. Es ist nicht nur einfach Neugier meinerseits. Mir steht ein schwerer Kampf bevor. Und je mehr ich weiß, desto besser sind meine Aussichten, ihn zu gewinnen. Du bist mir ein Rätsel. Aber ich muß dich verstehen.«
Einige Sekunden lang starrte Hyaroll sie groß an. Dann glitt sein Blick von ihren Zügen fort und in Richtung eines hohen und bunten Fensters. Aleytys war überrascht, als sie ihn lächeln sah-ein Zucken in den Mundwinkeln, ein Aufblitzen in schmalen und grünen Augen. Unmittelbar darauf jedoch verblaßte das Funkeln, und das Gesicht wurde wieder zu einer leeren Maske. »Das Blut, das auch in deinen Adern fließt«, sagte er. »Ich versprach der Mutter Shareems, mich um unsere gemeinsame Tochter zu kümmern.
Ianna - lautete ihr Name. Ich versprach es ihr, nachdem sie Reem von Kell befreite. Sie wußte, daß er ihr folgen würde und sie dazu zwingen wollte, bei ihr zu bleiben. Du ähnelst ihr, Lee. Das habe ich sofort erkannt, als ich dich zum erstenmal sah. Nach dem Tod lannas habe ich mir alle Mühe mit Shareem gegeben. Sie wird es nie zu viel bringen. Nein, widersprich mir nicht, Mädchen. Sie ist gar nicht so schlecht; ihr liegt etwas an dir, und das ist doch schon etwas.« Hyaroll berührte Aleytys am Kinn und neigte sanft ihren Kopf. »Du bist gut, Aleytys. Es bereitet dir Schmerzen, andere leiden zu sehen. Shareem hat es uns gezeigt. Ich bin stolz, daß du zu meiner Familie gehörst.« Die Worte waren sehr freundlich und erfreuten Aleytys, doch gleichzeitig mangelte es ihnen an emotionalem Nachdruck. Plötzlich tat ihr der alte Vryhh leid. Offenbar entging ihm das nicht ganz, denn er wich einen Schritt zurück und ließ die Hand sinken. »Aber ich wiederhole es noch einmal: Du hättest nicht hierherkommen sollen. Diese Welt ist zu klein für dich. Ich verschrumple allmählich, verwelke wie eine Blume, die lange blühte; ich bin wie die verkörperte Entropie, doch nichts währt ewig.« Noch ein weiterer Schritt fort von Aleytys. Hyaroll griff nach der Türklinke. »Deine Vitalität erschreckt mich. Mädchen, Deine ungeheure Lebenskraft ist wie Sandpapier auf einem Geschwür. Setz dich nicht noch einmal mit mir in Verbindung.« Er drückte die Klinke, öffnete die Tür und trat nach draußen.
Als Aleytys aus ihrer Starre erwachte und ihm folgte, war Hyaroll bereits auf
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