Das Erbe der Vryhh
Selbstkonditionierungen können sich als fatal herausstellen. Ein wenig Entrüstung, ja. Es gilt, emotionale Abstumpfung und Selbstzufriedenheit zu vermeiden. Eine sehr langwierige und schwierige Aufgabe, die nicht unbedingt angenehm sein muß. Sie streckte sich und gähnte, sah sich um. ein wenig bedrückt vom Mangel an Farben. Selbst das unterschiedliche Grün wirkte nach einer Weile nicht mehr vital und lebendig, bot sich ihren Blicken nur noch in diversen Grautönen dar. Alles in diesem Dom war vorzüglich - und langweilte rasch.
Aphorismus, dachte sie. Inhaltslose Eleganz verliert schon nach kurzer Zeit ihre Faszination. Loguisse mochte davon gar nichts bemerken, Wenn sie sich in ihrem Heim aufhielt, verbrachte sie offenbar ihre meiste Zeit damit, sich mit dem Kepha-los zu unterhalten, wobei sie immer neue esoterische Konzepte mit ihm erörterte, die für Aleytys ein Rätsel blieben und die sie als ebenso langweilig empfand wie die Gartenlandschaft. Nein. noch langweiliger Wenn Loguisse zu beschreiben versuchte, was es mit jenen mathematisch-philosophischen Modellen auf sich hatte, für die sie sich so sehr interessierte, winkte Aleytys nur und brachte sie damit zum Schweigen. Schon nach dem zweiten Wort begreife ich überhaupt nichts mehr, sagte sie nur. Mach dir keine Mühe. Dann seufzte Loguisse, und ihre Lebhaftigkeit wich neuerlicher Apathie. Wie schade, erwiderte sie. Aleytys nickte und konnte sich vorstellen, was sie damit meinte. Bestimmt gab es nur sehr wenige Personen, mit denen sie über das sprechen konnte, was sie faszinierte. Die junge Frau beugte sich vor, zupfte einige Grashalme aus dem Boden und zerfaserte sie. Loguisse vermißt anregende Gespräche, und ich vermisse Wolff. Ihre Freunde dort, das Haus, die Pferde vor allen Dingen vermißte Aleytys die Farben jener Welt, die zufällige Mischung aus Hell und Dunkel, Strahlend und Matt, die vielen unterschiedlichen Menschen, die dort lebten und arbeiten, die kamen und gingen, mit allen ihren Eigenheiten, Wenn sie erst so alt war wie Loguisse … Nun, vielleicht veränderten sich im Verlauf der Jahrtausende ihre Einschätzungen, doch eigentlich bezweifelte sie das. Vielleicht hatte Loguisse mit ähnlichen Prämissen begonnen und die vielen verschiedenen Aspekte des Lebens genossen.
Doch auch in dieser Hinsicht neigte Aleytys zu Skepsis. Zehntausend Jahre. Man konnte unmöglich sagen, wie eine Welt nach einer derart langen Zeitspanne beschaffen sein mochte. Und noch aussichtsloser mußte der Versuch sein zu bestimmen, welche Veränderungen eine Person nach einer solchen Zeit aufwies - selbst dann, wenn die betreffende Person mit dem eigenen Selbst identisch war.
Aleytys blieb noch eine Weile sitzen, lauschte dem Plätschern und dem leisen Knistern der sich im Wind bewegenden Blätter, unterdrückte ihre Ungeduld. Sie erinnerte sich daran, daß sie nicht nur Loguisse in Gefahr brachte, sondern auch Shareem. Nun, das war kein allzugroßes Problem. Sie mochte ihre Mutter, die sie dann und wann mit Anflügen von Mut und Tapferkeit überraschte, die hier verweilte, obgleich sie sich nach der Weite des Alls sehnte, nach dem Kosmos jenseits des Nebels, der ihr Sicherheit versprach. Aleytys seufzte und fühlte sich schuldig, weil ihr der Mut Shareems, die von ihr offenbarte verzagte Entschlossenheit, seltsam erschien. Es wäre alles viel einfacher gewesen, hätte sich ihre Mutter dazu durchgerungen, mit ihrem Raumschiff von Vrithian zu starten und den Kampf gegen Kell der Tochter zu überlassen.
Unglücklicherweise jedoch würde diese vernünftige Entscheidung den Untergang für Shareem bedeuten. Untergang. Ein melodramatisches Wort - aber mir fällt kein besserer Ausdruck ein. Nun, wenn das alles vorbei ist, wird sie wieder ihren Weg gehen, mich vielleicht ab und zu besuchen. Dann ist es für uns beide leichter.
Sie stand auf, strich das Kleid glatt und kehrte ins Gebäude zurück, um die letzte Mahlzeit in der unbehaglichen Gesellschaft Loguisses einzunehmen.
Während Aleytys viele Stunden im zentralen Zimmer verbrachte und den Kephalos erforschte, durchstreifte Shareem das bizarre Haus, in dem einst Synkatta gelebt hatte. Schlafzimmer wie auf dicke Stengel aufgespießte Orangen, erreichbar durch gläserne Tunnel, die aus der größeren Masse des Hauptgebäudes herausragten. Eine Krankenstation, die aussah wie eine Seifenblase, die mit Hunderten von Spiegeln ausgestattet war, deren Innenflächen hell glänzten und deren Außenflanken alles Bewegliche
Weitere Kostenlose Bücher