Das Erbe des Alchimisten
vermeiden.«
Eric nickt heftig.
»Okay. Aber bitte bleib ruhig.« Damit reiße ich den Klebestreifen ab, was ihm sichtlich weh tut.
Eric ringt nach Luft. »Wer bist du wirklich?« stöhnt er.
»Das ist eine interessante Frage. Ich bin nicht Cynthia Rhodes, wenn du das meinst, aber das wirst du dir längst gedacht haben.« Ich überlege und sage dann: »Ich bin einfach irgendeine Frau aus dem Park.«
»Was willst du von mir?«
»Das habe ich dir bereits gesagt. Dein Blut. Ein wenig von deinem Blut.«
»Aber wozu willst du es?« schluchzt er.
»Das ist eine lange Geschichte.« Ich streiche ihm über die Schulter. »Glaub mir nur, daß ich es wirklich brauche und daß dir letztendlich nichts passieren wird.«
Er atmet schwer, starrt auf sein Bein und sieht dabei so bemitleidenswert aus, daß es mir schier das Herz bricht. »Du hast etwas in meinem Knie verletzt. Es tut weh. Ich brauche einen Arzt.«
»Es tut mir leid. In ein paar Tagen kannst du einen Arzt aufsuchen, aber bis dahin mußt du hierbleiben. Du wirst hier essen, schlafen und das Badezimmer benutzen. Siehst du das Badezimmer dort drüben? Wenn du mit mir kooperierst, werde ich es dich hin und wieder benutzen lassen. Wenn du dich wirklich gut benimmst, brauche ich dich noch nicht einmal die ganze Zeit gefesselt zu lassen. Du wirst hier in diesem Schlafzimmer herumgehen, lesen und Musik hören können. Aber ich warne dich: Wenn ich etwas anderes zu erledigen habe und mich nicht um dich kümmern kann, werde ich alle Fenster fest verriegeln und vernageln, damit du nicht auf den Gedanken kommst zu fliehen. Wenn du es doch versuchen solltest, wirst du sehen, was du davon hast. Glaub mir, es wäre keine gute Idee.«
Er wirkt ein wenig schwer von Begriff. »Würdest du mich töten?«
Ich nicke ernst. »Ich würde dich langsam töten, Eric, indem ich dir all dein Blut ablasse. Es ist kein angenehmer Tod, also stell dich besser gut mit mir.« Ich zerzause ein wenig sein Haar. »Streck jetzt deinen Arm aus und beweg dich nicht.«
Er zuckt zurück. »Nein!«
»Schrei nicht.«
»Nein!«
Ich ramme meinen Handballen vor seine Nase, was ihn verstummen läßt. Während er sich von der kleinen Attacke erholt, befestige ich den Klebestreifen wieder auf seinem Mund und schnappe mir seinen Arm. Sekunden später habe ich die Aderpresse angelegt. Seine Venen sind groß und voller Blut. Bevor er den Arm wegziehen kann, habe ich schon eine Nadel in seine Vene gestochen, und sein Blut fließt in das sterile Röhrchen. Ich beuge mich zu ihm vor und flüstere etwas in sein Ohr.
»Kämpf nicht gegen mich an«, sage ich. »Wenn du mich zwingst, dich noch einmal zu schlagen, wird mein Ziel nicht dein Gesicht sein, sondern ein noch viel empfindlicherer Teil deines Körpers.« Ich zupfe an seinem Ohrläppchen. »Hast du mich verstanden?«
Er starrt auf sein Blut, das sich langsam in dem Plastikbehälter ansammelt. Dann nickt er.
»Guter Junge.« Ich küsse ihn sanft auf die Wange. »Denk einfach, daß dies alles ein Alptraum ist, der bald vorübergeht.«
Kalika wartet mit Ray im Wohnzimmer, als ich mit der Flasche Blut auf den Flur trete. Auf ihrem Schoß liegt ein Buch. Ich nehme an, daß es sich um eines der Bilderbücher handelt, die ich ihr kürzlich gekauft habe, aber ich irre mich. Als ich mich neben sie auf den Boden hocke, sehe ich, daß es sich um ein Anatomiebuch handelt, das sich in dem Haus befand, als wir es gemietet haben. Ich frage sie nicht, ob sie weiß, was sie da begutachtet, aber ich gehe davon aus, daß es der Fall ist. Ihre dunkelblauen Augen leuchten auf, als sie das Blut sieht, und ihre kleinen Hände schießen vor.
»Hunger«, sagt sie.
»Ist das alles, was du ihm abgezapft hast?« fragt Ray. »Sie hat den ganzen Tag darauf gewartet.«
»Je weniger ich ihm abnehme, desto öfter kann ich es tun«, antworte ich und reiche Kalika die Flasche. Ich frage mich, ob sie den Unterschied zwischen meinem Blut und dem von Eric bemerken wird. Ich frage mich, ob sie es überhaupt trinken wird. Aber gleich darauf sehe ich, daß meine Zweifel nicht angemessen sind. Sie schluckt den Inhalt der Flasche in wenigen Zügen, dann drückt sie mir das Gefäß wieder in die Hand.
»Hunger«, sagt sie.
»Hab’ ich’s dir nicht gesagt«, erklärt Ray. »Sie braucht mindestens einen Liter.«
Ich starre Kalika an, die wiederum mich anstarrt, und ein merkwürdiges Gefühl überkommt mich. In den Augen meiner Tochter erkenne ich eine unglaubliche Kälte und gleichzeitig ein tiefes, alles
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