Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe des Alchimisten

Das Erbe des Alchimisten

Titel: Das Erbe des Alchimisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
Vom Netzwerk:
umfassendes Gefühl. Es gibt nur wenige Leute im amerikanischen Westen, die etwas über vedische Gottheiten wissen und die Bedeutung des Namens Kali oder Kalika wirklich verstehen dürften. Für die meisten ist diese Göttin nur ein dunkles, blutrünstiges Wesen. Doch diese Sicht ist oberflächlich, denn ich hätte meine Tochter sicher nicht nach einem solchen Ungeheuer benannt.
Tatsächlich ist Kali schwarz, aber sie ist es, weil sie den Raum repräsentiert, den Abgrund, der schon vor der Schöpfung da war und nach ihr da sein wird. Ihre aus Schädeln gefertigte Kette steht dafür, daß sie sich um die Seelen kümmert, nachdem das weltliche Leben beendet ist – und nicht nur während der oder einer Fleischwerdung. Sogar der Scheiterhaufen, auf dem die Leichen verbrannt werden, mit dem sie stets assoziiert wird, steht für ihre Großzügigkeit, mit der sie die Sünden verbrennen läßt, wenn sie möchte. Kali ist eine Zerstörerin, gewiß, aber sie zerstört auch das Böse. Viele der großen Heiligen Indiens verehrten sie als höchstes Wesen.
Und es heißt, daß man ihr leicht eine Freude machen kann – wenn man vorsichtig dabei ist.
Während ich meine Tochter anschaue, muß ich an Krishna denken.
Doch Krishna war unendlich – und voller Liebe.
Kalika hingegen ist kein Kind, das seine Zuneigung zeigt.
Auf ihrer rechten Wange ist ein Blutfleck.
»Hunger, Mommy«, sagt sie sanft.
Seufzend gehe ich mit der Flasche zurück in das Schlafzimmer, in dem Eric sich befindet. Er ist entsetzt, mich so schnell wiederzusehen. Um ihn zur Ruhe zu bringen, muß ich ihn erneut schlagen, und ich hasse mich für meine Grausamkeit. Ich hasse auch Krishna, der mich in diese Situation gebracht hat. Doch gleichzeitig weiß ich, daß es sinnlos ist, Gott zu hassen. Es ist, als würde ich dem nächtlichen Himmel meine Sorgen entgegenschreien. Doch die Sterne haben keine Ohren, und selbst wenn sie welche hätten, wären sie zu weit entfernt, um zu hören. So wie sie weiterhin scheinen, werde ich weiterhin leben, bis der Tod an meine Tür klopft – oder meine eigene Tochter mir eines Nachts den letzten Blutstropfen raubt. Ich habe keinen Zweifel daran, daß sie in wenigen Tagen stark genug sein wird, um mich zu töten.
    10.
Kapitel
    Nachdem ich Erics Zimmer verschlossen und seinen Wagen ein gutes Stück weggefahren habe, drehe ich noch eine Runde, diesmal vollkommen ziellos. Mittlerweile ist es dunkel, was zu meiner Stimmung paßt. Eben hat Kalika ihre zweite Ration in wenigen Schlucken geleert und mir das Gefäß mit den gleichen ohrenbetäubenden Worten zurückgegeben: »Hunger, Mommy.« Mich schaudert es, wenn ich daran denke, wie groß ihr Appetit morgen sein wird – und übermorgen. Werde ich ein ganzes Basketball-Team im Haus unterbringen müssen? Vielleicht sollte ich hinüber zum Forum fahren und schauen, ob die Lakers gerade ein Übungsspiel machen. Es sind ein paar wirklich gute Spieler dabei.
    Sollen sie für meine Tochter bluten?
Wie Eric?
Seymour hatte mit vielem recht, was er gesagt hat – wie meistens. Um Mitternacht befinde ich mich am Strand, wo ich Yakshas Körper
    begraben – oder eher: versenkt – habe. Es war nicht viel von ihm übrig, als ich ihn seinem feuchten Grab übergeben habe. Eddie Fender hat seine übliche Nummer auch bei meinem Erschaffer abgezogen: ihn erstochen, zerrissen und gemetzelt, ihm sein Blut geraubt. Guter alter Eddie, der immer alles so ernst genommen hat. Aber Yaksha hatten all diese Qualen nichts ausgemacht. Gegen Ende hatte er, der von allen alten Dämonen meistgefürchtete, durch Krishna seinen Seelenfrieden gefunden. Während ich auf die dunklen Wellen starre, denke ich darüber nach, daß ein so langes Leben nicht notwendigerweise Demut und Ergebenheit bringt, sondern oft Zynismus als Antwort auf die ungezählten Leiden.
    Ich frage mich, ob ich deswegen weiterleide.
»Was ist es, das mir fehlt?« frage ich den Ozean. »Warum muß ich auf diese Weise weitermachen?«
    Doch im Augenblick ist es notwendig, daß ich fortfahre. Ich bin Mutter und habe die Verantwortung für meine Tochter, die Verpflichtung, sie zu ernähren. Nur daß meine Tochter möglicherweise irgendwann fähig sein wird, die ganze Menschheit zu zerstören. Niemand außer vielleicht Krishna weiß, aus welch ungewöhnlicher Mischung ihr Blut besteht. Nachdem ich mich noch einmal in Richtung von Yakshas Grab verbeugt habe, wende ich mich um und verlasse den Strand.
    Eine Stunde später finde ich mich in Paulas Schule

Weitere Kostenlose Bücher